Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
43 Der Strafprozeß. III Buch. 
  
auf eine Neihe von Vergehen ausgedehnt hat, bei denen es sich meist um einfachere 
Tatbestände handelt. 
Bestrebungen auf grundsätzliche Srrpe- Goruobiten Berelormen 5 
Reformen der StrPro. trafen vor allem das Rechtsmittel der Be- 
rufung, das schon in den Vorarbeiten einen Gegenstand lebhaften Streites gebildet 
hatte. Die in der StrPO. getroffene Lösung, wonach nur gegen die Urteile der un- 
tersten Strafgerichte — der Schöffengerichte — Berufung zulässig ist, fand vielfachen 
Widerspruch. Von der öffentlichen Meinung wurde fast allgemein Zulassung der Be- 
rufung auch gegen die Urteile der mittleren Gerichte — der Strafkammern — gefordert. 
Schon im Jahre 1885 wurden im Reichstag von freisinniger Seite, wie vom Zentrum, 
Anträge dieser Richtung eingebracht. Die Kommission, der die Anträge nach der 
1. Lesung überwiesen wurden, erachtete indes ein abschließendes Urteil über das Be- 
dürfnis einer solchen Abänderung der Str PO. wegen der kurzen Zeit ihrer Geltung 
für nicht möglich, und es wurde dann von einer Beratung der Anträge im Plenum 
abgesehen. Ein bald darauf dem Bundecsrat vorgelegter Gesetzentwurf, der die Be- 
rufung gegen Strafkammerurteile bewilligen wollte, fand in diesem keine Mehrheit. 
Ebenso lehnte der Bundesrat im März 1887 einen vom Reichstag angenommenen Ent- 
wurf gleicher Richtung ab. Weitere Entwürfe dieses Inhalts, die von Mitgliedern des 
Reichstags eingebracht wurden, fanden im Reichstag keine Erledigung. Inzwischen war 
die Berufungsfrage von neuem unter den Regierungen Gegenstand von Erwägungen 
geworden. Auf Grund dieser wurde 1894 dem Reichstag ein Entwurf des Bundesrats 
vorgelegt, der die Berufung gegen die Urteile der Strafkammern gewährte, aber da- 
gegen die Beseitigung mehrerer sogenannter Garantien des Verfahrens verlangte, die 
seinerzeit in die StrO. als Ersatz für die versagte Berufung eingeführt waren. Dar- 
unter vor allem statt der Besetzung der Strafkammern mit 5 Richtern, die eine Ver- 
urteilung nur mit zwei Orittel Majorität, also mit 4 Stimmen, aussprechen können, 
die Besetzung mit 3 Richtern, bei der 2 Stimmen zur Verurteilung genügen. Der 1894 
im Reichstag nicht erledigte, im Dezember 1895 mit einigen Anderungen wieder vorge- 
legte Entwurf scheiterte an dieser Frage der zahlenmäßigen Besetzung der Strafkammern. 
Die dann immer wieder von Mitgliedern des Reichstags eingebrachten Entwürfe, die 
außer in der Berufungefrage auch noch sonst in einzelnen Punkten Anderungen der 
Str PO. enthielten, gelangten im Reichstag nicht zur Erledigung. Über Anträge, die 
Ende 1900 einliefen, ging der Reichstag, nachdem sie einer Kommission überwiesen und 
von dieser beraten worden waren, schließlich im April 1902 einstimmig zur Tagesordnung 
über, stellte aber gleichfalls einstimmig an die Regierungen unter Geltendmachung, daß 
inzwischen in der Militär-Strafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 die Berufung 
gegen alle Urteile der Militär-Strafgerichte gegeben war, das Ersuchen, ihrerseits bald- 
möglichst dem Reichstag einen Entwurf betreffend Anderung des Gerichtsverfassungs- 
gesetzes und der StrpO. im Sinne der Einführung der Berufung gegen Strafkammer- 
urteile vorzulegen. 
  
  
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