Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
III. Buch. Völkerrecht. 81 
  
gewisse, eine größere Anzahl von Staaten berührende Angelegenheiten durch gemein- 
same Beschlüsse zu regeln. Dazu kamen die vermehrten gegenseitigen Beziehungen 
der Staaten, namentlich auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens und die Not- 
wendigkeit, gewisse Angelegenheiten, deren Regelung auf dem Wege des Herkommens 
der Natur der Sache nach ausgeschlossen war, wie z. B. bei den in den Unionen geregelten 
Verhältnissen, durch ausdrückliche Satzung zu regeln, wie sich auch häufig das Bedürf- 
nis ergab, Zweifel in bezug auf die Geltung und die Auslegung gewisser Sätze des Ge- 
wohnheitsrechts, z. B. auf dem Gebiete des Kriegsrechts durch Vereinbarungen zu lösen. 
Das internationale Recht hat eben in dieser Beziehung die gleiche Entwicklung durch- 
gemacht wie das nationale Recht. Solange die Verhältnisse einfach waren, genügte die 
Entstehung der Rechtssätze durch das Herkommen; je verwickelter die zu regelnden Ver- 
hältnisse in den einzelnen Staaten bzw. in der völkerrechtlichen Gemeinschaft wurden, 
um so mehr entstand die Notwendigkeit, Gesetze zu erlassen bzw. rechtssetzende Verein- 
barungen zu treffen. 
Daß die in ziemlichem Umfange eingetretene Ersetzung des völkerrechtlichen Her- 
kommens durch normsetzende Vereinbarungen manche Vorteile hat, läßt sich nicht ver- 
kennen. Gesetztes Recht ist in der Regel Marer und bestimmter als Gewohnheitsrecht, 
die Bildung von Rechtssätzen auf dem Wege des Herkommens ist langsamer als die 
Schaffung von Normen durch ausdrückliche Satzung, auch kann die Weiterentwicklung des 
Rechts leichter durch ausdrückliche Vorschriften in eine bestimmte Richtung geleitet werden, 
als dies bei der Entstehung von Rechtssätzen durch die Gewohnheit möglich ist. Anderer- 
seits sind mit den normsetzenden Vereinbarungen auf dem Gebiete des Völkerrechts ge- 
wisse Nachteile und Gefahren verbunden, die häufig genug nicht gehörig erkannt werden. 
Rechtssetzende Vereinbarungen können nur auf Konferenzen festgestellt werden, 
an denen die Vertreter einer größeren Anzahl von Staaten beteiligt sind. Es liegt nun 
in der Natur der Sache, daß selbst, wenn alle auf einer Konferenz vertretenen Staaten 
über das zu erreichende Ziel einig sind, doch die einzelnen Staaten über die Art und Weise, 
wie das Ziel erreicht werden soll, vielfach auseinandergehen werden. Um etwas zu 
erreichen, werden dann Kompromisse geschlossen, die niemanden befriebigen und häufig 
Anlaß zu Streitigkeiten geben, wie dies z. B. bezüglich einzelner Bestimmungen der 
Kongoakte wie auch einzelner Beschlüsse der beiden Friedenskonferenzen der Fall war. 
Noch bedenkllicher ist, daß derartige Konferenzen nur zu leicht unter dem Einflusse ge- 
wisser zur Zeit herrschenden Strömungen stehen und daß solchen Einflüssen entsprechend 
mitunter recht bedenkliche Beschlüsse gefaßt werden. 
Es traten auch in dieser Beziehung innerhalb der völkerrechtlichen Gemeinschaft 
ganz ähnliche Erscheinungen zutage, wie sie sich in den einzelnen Staaten zeigen. Zum 
Beweise dieser Tatsache braucht nur darauf hingewiesen zu werden, welche Stärke die 
in der französischen Revolution zur Geltung gelangten Ideen der Freiheit und Eleich- 
beit aller Menschen und der Volkssouveränität wie auch die aus diesen Zdeen entsprun- 
genen Forderungen nach Demokratisierung des gesamten Staatslebens, wie sie nament- 
lich in der Einführung des allgemeinen und direkten Wahlrechts und der parlamen- 
tarischen Regierungsweise auch in konstitutionellen Monarchien liegt, erlangt haben. 
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