84 Völkerrecht. III. Buch.
kratisierung seiner Staatseinrichtungen zu seinem Vorteile noch nicht so weit vorge-
schritten ist wie andere Staaten.
Zeder Staat, der auf seine Unabhängigkeit und die Freiheit in seinen Entschießungen
Wert legt, sollte sich daher mit Entschiedenheit dagegen wehren, daß auf internationalen
Konferenzen Beschlüsse gefaßt werden, durch die, ohne daß sie eine innere Berechtigung
haben, lediglich gewissen, sich breitmachenden Strömungen nachgegeben wird. Ebenso
sollte jeder Staat seine Beteiligung an derartigen Konferenzen wie den Friedens-
konferenzen von der Aufstellung eines klaren und bestimmten Programms abhängig
machen und darauf dringen, daß von diesem Programm im Laufe der Verhandlungen
nicht abgewichen wird ). Bei der Beteiligung an Konferenzen muß ein Staat um so
mehr mit Vorsicht verfahren, je größer die Zahl der Teilnehmer ist und je verschieden-
artiger nach Größe, Zivilisation und maßgebenden Interessen die beteiligten Staaten sind.
Wenn an einer Konferenz, wie der zweiten Friedenskonferenz, Staaten aus allen
Weltteilen, von verschiedenen Rassen, von verschiedener Kultur und verschiedener Größe
teilmehmen, so können Unzuträglichkeiten nicht ausbleiben. Namentlich besteht die Ge-
fahr, daß keine Staaten in Abhängigkeit von Großmächten kommen, deren Gewicht
vermehren und dadurch einen ihnen nicht zukommenden Einfluß erlangen. Ebenso kann
aus anderen Gründen ein bedenklicher Zusammenschluß einer größeren Anzahl von
Staaten erfolgen. So ist die Möglichkeit sehr naheliegend, daß, wenn die panamerikanische
Bewegung an Stärke gewinnt, die sämtlichen amerikanischen Staaten unter Führung der
Union als eine geschlossene Einheit den übrigen Mitgliedern der völkerrechtlichen Gemein-
schaft gegenübertreten und versuchen werden, denselben ihren Willen aufzudrängen.
Unzweifelhaft hat, wie schon hervorgehoben, die Entwicklung im letzten Zahrhundert
dahin geführt, daß die friedlichen Beziehungen der Bitglieder der völkerrechtlichen
Gemeinschaft zahlreicher, vielgestaltiger und inniger wurden und daß infolgedessen
Anfänge einer gewissen Organisation der völkerrechtlichen Gemeinschaft in von einer
größeren Anzahl von Staaten beschickten Kongressen und Konferenzen sich zeigten,
und daß auf diesen Kongressen und Konferenzen, wie namentlich auf den beiden Frie-
denskonferenzen, die Regelung gemeinsamer Angelegenheiten der völkerrechtlichen
Gemeinschaft teilweise in sehr umfassender Weise erfolgte.
Unter diesen Umständen wirft sich die Frage auf, welches das Ziel dieser Entwicklung
sein wird und welche Maßregeln die Mitglieder der völkerrechtlichen Gemeinschaft ergreifen
sollen, um dieses Ziel so bald als möglich und so vollständig als möglich zu erreichen.
Dabei kann vollständig von so phantastischen
Zdeen, wie der Zdee eines alle Staaten und
Völker der Erde umfassenden Weltstaates abgesehen werden, da dieser Gedanke, ganz
abgesehen von sonstigen Erwägungen, schon deshalb undurchführbar wäre, weil ein
Weltstaat und Weltföderation.
1) Daß in dieser Beziehung bei beiden Friedenskonferenzen manches zu wünschen übrig war, ist wohl
allgemein anerkannt. Namentlich war es im höchsten Grade auffallend, daß auf der ersten Friedenskonferenz im
Widerspruch mit dem aufgestellten Programme plötzlich die Frage der obligatorischen Schiedsgerichts-
barkeit ausgeworfen wurde.
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