III. Buch. gnternationales Privatrecht. 91
ihnen vorgelegter Rechtsfall nicht nach dem eigenen (d. h. dem von ihnen gekannten) son-
dern vielmehr nach ausländischem, und nach welchem ausländischen Rechte zu beurteilen
sei. Dieser Frage suchte die frühere deutsche Rechtsprechung auf jede mögliche Weise
auszuweichen. Unverkennbar berrschte das Bestreben, in allen international gelagerten
Fällen schließlich doch zur Anwendung des „#eigenen“ Rechtes, der lex fori, zu gelangen.
sei es nach der Wächterschen Kegel: in dubio lex fori, sei es gestützt auf die Vor-
schrift der deutschen Zivilprozeßordnung, wonach der deutsche Richter nur das Recht
seines Staates zu kennen braucht, sei es nach der Formel, die Anwendung ausländischen
Rechtes sei durch inländische Prohibitiosätze („ordre public“) ausgeschlossen, sei es end-
lich gemäß der „präsumtiven"“ Intention der Parteien beim Vertragsschluß, oder deswegen
weil die Parteien im Prozeß die Maßgeblichkeit ausländischen Rechtes nicht behauptet
oder die dieselbe anrufende Partei den Inhalt des fremden Rechtes nicht nachgewiesen
habe. Eine geheime Kunstlehre über die Frage, auf welche Weise der deutsche
Richter es am besten erreichen könne, der Anwendung ausländischen Rechtes zu entgehen,
hätte zu gewisser Zeit vielleicht nicht bloß Erfolge der Heiterkeit erlebt. Ihering hat
einmal in geistreichem Sarkasmus herausgefunden, von allen Akademikern, die ein
Schiffbruch an fremdsprachiges Gestade werfen würde, sei der Jurist der hilf- und
nutzloseste. Daran ist etwas Wahres, namentlich aber für jene Zeiten, da die deutschen
Zuristen nur die deutsche Rechtssprache verstanden. Französisches Recht kannten nur die
Linkserheinländer. Englisch- amerikanisches Recht war die Domäne Auserwählter. Die
Fülle romanischen und modernen Rechtsstoffes, wie sie sich in den zahlreichen Gesetz-
büchern Mittel- und Südamerikas darbietet, existierte für die deutschen Zuristen ebenso-
wenig wie die slawischen Rechtsordnungen und das eine Welt für sich bildende Recht
der Mohammedaner.
Das ist in den letzten 25 Jahren einigermaßen anders geworden.
Mit der Abkehr von der reinen Begriffsjurisprudenz,
mit dem Verständnis für das Recht als Kultur-
erscheinung (Kohler), mit der Würdigung seiner
Beziehung zu den allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen ist auch der
Sinn für Rechtsvergleichung, für die Anerkennung fremder Rechtsgedanken
und für die Zulassung fremder Rechtsordnungen bei uns eingekehrt. Es hat
sich tatsächlich bei den deutschen Juristen mehr und mehr der Trieb und die Gewohn-
heit eingestellt, ausländische Verhältnisse, ausländische Sprache, ausländisches Recht
kennen zu lernen. Die Zahl der in Paris, Grenoble, Lausanne und Genf, in Oxford
oder Cambridge, an der Harvard-Universität oder in Rom studierenden deutschen Juristen
ist nicht mehr ganz gering. Die heranwachsende Generation wandelt neue Bahnen.
Die politische Entwickelung des Deutschen Reiches hat dazu das Beste und Ent-
scheidende getan. Der wachsende Wohlstand in Deutschland hat mitgeholfen. Die Er-
haltung des Friedens, die Mehrung des Reiches an überseeischen Beziehungen, an inter-
nationaler Geltung und an internationalen Aufgaben jeder Art mußte auch die inter-
nationale Erstreckung des Rechtsgedankens fördern.
Wachsen des Sinnes
für fremde Rechtsgedanken.
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