98 Internationales Privatrecht. III. Buch.
Bürgerliches G esetzbuch. VIII. Das für die Gesamtheit der Rechtsentwickelung
in Deutschland wichtigste Ereignis unserer Epoche, die
Schaffung des einheitlichen deutschen bürgerlichen Rechte#s, ist auch für das inter-
nationale Privatrecht von größter Bedeutung gewesen. Freilich ist diese Seite des Gesetz-
buches nicht durchweg erfreulich. Es wird fast allgemein als ein bedauerlicher Mangel
angesehen, daß das Deutsche NReich diese Gelegenheit hat vorübergehen lassen, ohne eine
allseitige Kodifikation der Materie des internationalen Privatrechts (im alten Sinn) vor-
zunehmen, d. h. in eine erschöpfende Regelung der Frage einzutreten, inwieweit bei
international gelagerten Tatbeständen deutsches, inwieweit ausländisches, und welches
ausländische Recht anzuwenden sei. Anstatt dessen hat man in den Artikeln 7J—11 des
Einführungsgesetzes nur eine Reihe fragmentarischer Vorschriften mit höchst bestrittenem
Inhalte gegeben.
Oie beiden Gesetzgebungskommissionen (die erste 1887, die zweite 1891) hatten
eine kodifikatorische Regelung des internationalen Privatrechts im Rahmen des BGB.
für geboten erklärt, und beide Kommissionen hatten dem Reichskanzler Entwürfe für
eine solche Regelung vorgelegt. Fürst Bismarck hat aber 1887 den ihm vorgelegten
Entwurf gar nicht an den Bundesrat gelangen lassen, weil er der Ansicht war, daß durch
eine derartige Kodifikation dem anzustrebenden Abschluß von Staatsverträgen vorgegriffen
würde. Im Jahre 1896 wurde der Entwurf der zweiten Kommission (dieser war als
sechstes Buch des BG. vorgelegt) zwar dem Bundesrat unterbreitet. Aber zufolge
des Einspruches des der Bismarckischen Auffassung folgenden Auswärtigen Amtes wurde
innerhalb des Bundesrates (mit Uberweisung an das preußische Staatsministerium)
eine Revision vorgenommen, welche zu der bruchstückartigen Gestaltung der Materie (ein
nahe beteiligter hoher Staatsbeamter sagte: Verunstaltung) führte, die dann vom
Reichstag ohne weiteres gutgeheißen wurde.
Die Mängel, welche der auf diese Weise Gesetz gewordenen Regelung vorgeworfen
werden, liegen vor allem darin, daß große Materien des Privatrechts gar nicht geregelt
sind. Am fühlbarsten ist dies auf dem großen und wichtigen Gebiet der Vertragsverpflich-
tungen, das heißt also der unendlich zahlreichen Handelsbeziehungen Deutschlands
zum Ausland, besonders auch nach Übersee. Es konnte daher jüngst gesagt werden:
„Deutschland steht im Weltverkehr mit einem auswärtigen Handel im Werte von jährlich
rund 15000 Millionen M., nur von Großbritannien übertroffen, an zweiter Stelle. Welches
Recht aber auf Kauf und Verkauf im Auslande anzuwenden ist, das steht auch nach Ein-
führung des BG. noch nicht fest.“ Die dadurch bedingte „Elastizität“ der Rechtsprechung
bietet, wie nunmehr auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrung gesagt werden
darf, weit mehr Nachteile als Borteile; denn sie bedeutet Rechtsunsicherheit — den
dem Handel unerwünschtesten Zustand. Dabei darf nicht verschwiegen werden, daß
speziell auf dem Gebiete des Obligationenrechtes die Bismarckische Ablehnung der
Regelung durch die Vertretung der Hansastädte unterstützt worden sein soll, weil
man dort eben jene Elastizität wünschte.
Eine andere Art von Lücken ist in unserem Gesetzeswerk in der Weise entstanden,
daß seine Vorschriften zum großen Teil zu bestimmen unterlassen, welches Auslandsrecht
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