Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. 9 
  
wicklung der deutschen Volkswirtschaft, für den immer stärkeren Übergang vom Agrar- 
zum Industriestaat und für alle die damit verbundenen sozialen, wirtschaftlichen, poli- 
tischen, auch populationistischen Folgen und Begleiterscheinungen, namentlich die Ent- 
faltung des Städtewesens, vor allem der Großstädte, und damit auch für die empor- 
steigende Stellung Deutschlands im Weltverkehr gelegt worden. 
Sozialpolitik. Zugleich waren aber in dieser Periode die Grundlagen des 
charakteristischsten Teils der deutschen Sozialpolitik zu Schutz 
und Förderung der sog. arbeitenden Klassen, besonders der industriellen, nämlich der 
Arbeiterversicherung, in Gemäßheit der berühmten Botschaft Kaiser Wilhelms lI. von 
1881 gelegt und zum Teil auf ihnen die wichtigste Gesetzgebung schon erlassen und prak- 
tisch ausgeführt worden. Weniger hatte man bis dahin, Bismarcks Standpunkt gemäß, 
den Arbeiterschutz gefördert. In der begonnenen Entwicklung der Arbeiterorganisation 
war durch das Sozialistengesetz zugleich eine hemmende Wirkung mit hervorgerufen. 
Die Organisation der gewerblichen selbständigen Arbeit, besonders des Handwerks, 
war zwar in der Gesetzgebung wieder etwas mit angebahnt worden, aber doch mit zu 
schwachen Mitteln und ohne ausreichenden Erfolg. So war der Entwicklung des privat- 
kapitalistischen Systeims eine Ausdehnung mit auf Kosten des Mittel- und Kleinbetriebes 
noch leichter möglich geworden, als es die Technik von Produktion und Verkehr ohnehin 
zu bewirken strebte. 
  
Außere Handelspolitik. In der auswärtigen Handelspolitik war allerdings 
nach der freihändlerischen LTendenz in der letzten Zeit 
vor dem Reich und in der ersten Reichszeit selbst ein prinzipiell bedeutsamer und auch 
praktisch teilweise wichtiger Umschwung durch den Wandel 1879 eingetreten, der sich schon 
von da an und mehr noch bald darauf für Induftrie, Landwirtschaft und Beichsfinanzen 
von Einfluß zeigen sollte. Man lenkte wieder mehr in die Schutzzollbahn ein und er- 
öffnete damit auch in den agrarischen Schutzzöllen eine später sehr bedeutsam werdende 
Einnahmeaquelle für die Finanzen. A#ler nachhaltig ausreichend für die später unvermeid- 
lichen Finanzbedürfnisse des RKeichs war dadurch noch nicht fürgesorgt. Durch das leidige 
System der Uberweisungen aus den indirekten Reichssteuern, den Zöllen und inneren 
Verbrauchssteuern, wodurch dem Bismarckschen Zdeal gemäß die Einzelstaaten, statt das 
Reich zu ihrem Kostgänger zu machen, zu aus Reichseinnahmen dotierten öffentlichen 
Körpern wurden, wurden die Reichsfinanzen geschädigt und war zugleich in den Weg 
eingelenkt, der in der Folge bei unzureichenden eigenen Mitteln des Reiches und großen 
steigenden Finanzbedürfnissen zu der in der neuesten Zeit zu großen und zu raschen 
Vermehrung der Reichsschulden führen mußte. Damit war am Schluß der Bismarck- 
schen Periode, und als die Monopolprojekte und der Reichsbahnplan gescheitert waren, 
eine ausreichende Fundierung der Besteuerung für die weitere Zukunft unterblieben. 
Zwar war neben den inneren Verbrauchssteuern die Entwicklung der inneren Ver- 
kehresteuern (Stempel, Börsensteuern usw.) des Reichs begonnen, doch noch nicht finanziell 
ausreichend gelungen und die direkte Reichsbesteuerung ausgeschlossen geblieben, aber 
  
457
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.