VI. Buch. Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. 13
Entwickelung des Arbeiterschutzrechtes und der Verwaltungseinrichtungen zu seiner Durch-
führung und die schließlich erreichte umfassende Fortbildung dieses Rechts und dieser Ein-
richtungen ist ein Streitpunkt der Parteien geblieben. Aber in der so erfolgten Ergänzung
der Arbeiterversicherung und des schon von vornherein in Kraft stehenden und in Kraft
gebliebenen Organisationsrechts der industriellen Arbeiter liegt doch wohl ein richtiger
Fortschritt über die BVerhältnisse in der ersten Reichsperiode hinaus. Gerade der modernen
Entwickelung der Industrie, der Unternehmungeformen, der Stellung des Unternehmer-
tums, zumal im Grotzbetrieb, der allgemeinen Anerkennung und Ausübung der Grund-
sätze der Gewerbefreiheit und des freien Vertragsrechtes entsprach es nur, der Lohn-
rrbeiterklasse das Koalitions- und Gewerkvereinsrecht zu gewähren, um ihre Interessen
genügend mit geltend machen zu können. Das brauchte übrigens keineswegs das Fehlen
jeden gesetzlichen Schutzes der Arbeitswilligen in sich zu schließen. Und wenn durch ein
solches Organisationsrecht und durch den entwickelten Arbeiterschutz und die Arbeiter-
versicherung auch gewiß Unternehmertum und Kapitalistenwelt mannigfach in der Ver-
teilung der volkswirtschaftlichen Reinerträge, die in ihren Unternehmungen unter ihrer
Führung erzielt werden, eine ihnen ungünstige Beeinflussung erfahren, namentlich durch
die Zwangsbeiträge der Arbeitgeber, und wenn so die Arbeiterwelt begünstigt wird, so
sind das einmal Folgen, welche der Gesetzgeber bei vollem Verständnis dessen, was er
tat, gewollt hat und wollen mußte. Es sind aber auch Folgen, welche im Zeitalter
bochentwickelter Technik und Okonomik und großartiger Umgestaltung und Entfaltung der
privatwirtschaftlichen Organisation der Unternehmungen im wesentlichen dem Gemein-
interesse moderner Kulturvölker entsprochen haben. Erst so konnte das naturwissenschaft-
liche und Maschinenzeitalter der Produktion und des Verkehrs seine reichen und guten
Früchte der gesamten unteren Bevölkerung zum Mitgenuß bringen. Es ist eine llein-
liche egoistische Auffassung, darüber zu Uagen, daß diese Früchte so nicht in noch größerem
Maße dem Besitz, den Herren der Unternehmung, dem „Kapital“ verbleiben. Es ist zwar
nicht zu leugnen, daß aus Alrbeiterschutz und Arbeiterversicherung auch einzelne üble
pspchische Einwirkungen auf die Arbeiterkreise selbst hervorgegangen sind, die gewiß
bekämpft werden sollen und auch können. Aber deshalb kann die große bezügliche Gesetz-
gebung in ihren weit überwiegenden guten Wirkungen — auch psychologisch guten Wir-
kungen — trotz aller sozialdemokratischen Verhetzung, Entstellung und Herabsetzung des
Erreichten nicht verkannt werden. Daß so im letzten Menschenalter an der positiven Sozial-
politik zugunsten der Arbeiter unentwegt festgehalten und weitergebaut wurde, ist eine
der größten politischen Leistungen und einer der höchsten Ruhmestitel dieser Periode.
Und daß in allen kompetenten und maßgebenden Kreisen, außerhalb eines Teils der Groß-
industrie, die Notwendigkeit, hieran auch jetzt festzuhalten und weiterzubauen eingesehen
wird, ist gewiß erfreulich.
Allerdings, es ist ein Maß in den Dingen, das ist ebenso einzusehen und ein Maßhalten
in der sozialpolitischen Gesetzgebung ist geboten. Die internationalen Konkurrenzverhält-
nisse können und dürfen im Industrie- und Exportstaat der Gegenwart auch nicht unbe-
achtet bleiben. Das Ziel einer internationalen Regelung mancher Punkte im Gebiet des
Arbeiterschutzes, das von Wilhelm ll. gleich im Beginn seiner Regierung mit aufgestellt
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