Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
138 Die chemische Industrie. VI. Buch. 
  
Deutschland durch die seit 15 Zahren daselbst eingeführte Elektrolpse von Alkalichloriden, 
Chlorkalium und Chlornatrium, neuerdings auch Chlorkalzium eine vollständig andere 
Gestalt angenommen hat. 
Bis zum Zahre 1898 wurde das namentlich in der Bleicherei verwendete Chlor 
ausschließlich durch Oxpdation der Salzsäure mittels Braunstein (Scheele 1774) oder Luft 
in Gegenwart von Kupferchlorid und höherer Temperatur (Deacon 1868) hergestellt. Da- 
mals kostete eine Tonne Chlorkalk, die üblichste transportable Form als Chlor, 250—2560 M.; 
mit der Einführung der Elektrolyse ist dieser Preis heute auf 90 M. herabgegangen. 
Wenn die heutige Weltproduktion von Chlorkalk auf 300 000 Tonnen geschätzt wird, 
so beträgt der Anteil Deutschlands dabei 100000 Tonnen im Werte von 9 Mill. Mark, 
wobei 70 000 Tonnen nach dem elektrolytischen Verfahren aus den oben genannten 
Chloralkalien erhalten werden, der Rest nach dem Deaconverfahren, da das Scheele- 
Weldonverfahren mit Braunstein wohl kaum mehr in Anwendung sein dürfte. 
Ooch nicht allein nach der Richtung der Fabrikationsmethode, sondern auch bezüg- 
lich des Welthandels mit Chlorkalk haben sich die Verhältnisse in Deutsch- 
land vollständig verschoben. 
Im FJahre 1890 mußte Deutschland noch an 6500 Tonnen Chlorkalk einführen, 
und zwar von England, dem damaligen Hauptproduzenten. Heute übersteigt die Aus- 
fuhr die Einfuhr um mehr als 20 000 Tonnen, und England ist dasjenige Land, welches 
am meisten von uns das Material bezieht. 
Bei der Elektrolyse der Chloralkalien werden diese einerseits in Thlor, andererseits 
in Kali= bezw. Natronlauge und Wasserstoff umgewandelt. 
Die Verwendung des Chlors bezw. des daraus dargestellten Chlorkalkes ist jedoch 
nicht auf die Zwecke des Bleichens von Zeugen, besonders von Baumwolle beschränkt. 
Auch das Chlor als solches findet in der Teerfarbenfabrikation zur Herstellung von 
Zwischenprodukten eine sehr vielseitige Anwendung. Die am meisten hergestellten 
Chlorprodukte dieser Art sind Chlorschwefel, Chloressigsäure, Thlorbenzol, Benzylchlorid, 
Benzalchlorid und Benzotrichlorid. Das viel gebrauchte Chloroform wird aus Chlor- 
kalk und Azeton hergestellt. 
Von den in der Großindustrie gewonnenen Alkalien tritt zunächst die Soda 
in den Vordergrund. Auch bei dieser für sehr viele Zweige der chemischen 
Industrie äußerst wichtigen Verbindung hat sich in den letzten 25 Jahren eine großartige 
Umwälzung in dem Verfahren vollzogen. 
Noch im Jahre 1888 wurden von der Weltproduktion an Soda, welche damals 
800 000 Tonnen betrug, noch etwa 500 000 Tonnen nach dem alten Leblancverfahren 
aus Sulfat, Kohle und Kalkstein hergestellt. Inzwischen ist das von Solvay ausge- 
arbeitete Ammoniaksodaverfahren, welches weit billiger arbeitet als die alte Metho- 
de, so weit in den Vordergrund getreten, daß von den 2 Millionen Tonnen der heutigen 
Weltproduktion bereits 1,9 Mill. Tonnen nach dem Solvayverfahren hergestellt werden. 
Wie von Anfang an, ist England heute noch mit seinen jährlich produzierten 700 000 
Tonnen der Haupthersteller der Soda, während Deutschland davon 400 000 Tonnen 
Soda. 
  
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