Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Oie chemische Industrie. 145 
  
Optimisten sind der Meinung, daß der künstliche Indigo in den tropischen Ländern 
bald ganz den natürlichen verdrängen wird, so wie früher der natürliche ostindische Indigo- 
unseren Waidbau oder vor nicht langer Zeit das künstliche, von Graebe und Liebermann 
1868 erfundene künstliche Alizarin den blühenden Krappbau in Südfrankreich ver- 
nichtete. 
Außer dem Indigoblau selbst wurden in neuerer Zeit eine größere Anzahl von 
Farbstoffen aus der Indigoklasse hergestellt, welche ebenfalls Küpenfarbstoffe sind. 
Darunter befinden sich nicht allein blaue, sondern auch andere färbende Körper, wie z. B. 
das prachtvolle Thioindigoscharlach. 
Künstliche Heilmittel. Außer den Teerfarbstoffen spielen im Gebiete der or- 
ganischen chemischen Großindustrie die künstlichen Heil- 
mittel eine große Rolle. Schon vor 40 Jahren wurde aus Karbolsäure die Salizyl- 
säure im Großen hergestellt und hat als Konservierungsmittel und in der Medizin eine 
sehr große Verwendung gefunden. Später haben dann besonders Antipyrin, Anti- 
febrin und Phenazetin, in neuerer Zeit Aspirin, Ppramidon als Fiebermittel 
und Novokokaln und Alppin als schmerzstillende Mittel Eingang gefunden. 
Auch die Schlafmittel Sulfonal, Trional und Veronal sind wie alle ältere 
Chloralhydrate Produkte der organischen chemischen Industrie. Dazu haben sich einige 
Arsenpräparate wie das Salvarsan (Ehrlich-Hatta 606) gesellt, von welchen sich auch 
die Veterinärheilkunde viel verspricht. 
Auch die Industrie der Riechstoffe ist bierher zu rechnen. Schon vor längerer 
Zeit gelang es, das Kumarin, das aromatische Prinzip des Waldmeisters, auf künstlichem 
Wege aus Salizylaldehynd herzustellen; dann folgte das Vanillin, welches sich in der 
Vanille natürlich bildet, und das Jonon, welches dem Duft der Beilchen gleichkommt. 
Auch ist es gelungen, künstlichen Kampfer herzustellen. 
Auch diese Industrie ist in Deutschland sehr bedeutend geworden. 
  
Kautschuk. Neuerdings beschäftigt man sich sehr viel mit dem Problem, den für un- 
.. sere heutige Zeit unentbehrlich gewordenen Kautschuk billiger her- 
zustellen, als es die Natur in verschiedenen Milchsaft führenden Pflanzen vermag. 
Insofern ist man der Lösung der Aufgabe nahegekommen, als man künstlich ein 
mit Kautschuk identisches Produkt herstellen kann. Aber dieses ist dem natürlichen Kaut- 
schuk gegenüber noch nicht konkurrenzfähig. Die gestellte Aufgabe harrt also noch der 
definitiven Lösung. 
Kunstseide. Ein anderes Gebiet, welches zur organischen chemischen Großindustrie 
—. zu rechnen ist, ist jedoch bereits sehr weit fortgeschritten; es ist die 
Herstellung von Kunstseide und ähnlichen Stoffen aus Zellulose. 
Von den vier Hauptverfahren war vor 235 Jahren bereits das vom Grafen Char- 
donnet 1884 erfundene bekannt, welches darin besteht, Aitrozellulose in Ather-Alkohol 
zu lösen und das so erhaltene Kollodium aus feinen Glasröhren in die Luft oder in Wasser 
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