Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Textilindustrie. 153 
  
pflanze gewonnenen Indigo und dem aus der Krappflanze hergestellten, für Türkisch- 
rot benutzten Alizarin, auch keine große Echtheit aufwiesen, und daß die anscheinend 
echte Färbung alter Gewebe nur darauf zurückzuführen ist, daß sie unter vermindertem 
Zutritt von Luft und Licht aufbewahrt werden, dagegen gleichfalls schnell verblassen, 
wenn sie der Luft und dem Licht ausgesetzt werden, wie Lessing im Berliner Kunst- 
gewerbemuseum festgestellt hat. Der anscheinende Fehlschlag mit den ersten künstlichen 
Farbstoffen hat zur Folge gehabt, daß heute noch ein allgemeines Mißtrauen gegen 
jeden künstlichen Farbstoff herrscht, trotzdem es inzwischen gelungen ist, Farben her- 
zustellen, die bei weitemm echter sind als die Naturfarben und trotzdem auch für Indigo 
und Türkischrot vollwertiger Ersatz gefunden worden ist. Die künstliche Herstellung des 
Farbstoffes der Türkischrots gelang den Chemikern Gräbe und Liebermann in den 
60er Zahren und die des Indigos A. v. Bayer im JZahre 1888, zunächst jedoch ohne 
Möglichkeit der praktischen Berwendung. Dies erreichte die Badische Anilin- und Soda- 
fabrik erst im Fahre 1896. Der Erfolg dieser beiden wichtigsten Entdeckungen war ein 
derartiger, daß heute von dem Anbau des Krapps, sowie des natürlichen Indigo, kaum 
noch die Rede sein kann. Die Ausgabe Oeutschlands für Indigo allein betrug zirka 
70—80 Nillionen M. jährlich. Heute bleibt nicht nur dieses Geld im Lande, sondern 
es wird jährlich noch für etwa 50—60 Millionen M. Indigo aus Deutschland ausgeführt. 
Für Alizarin sind die Zahlen ganz ähnliche, während früher 50 Millionen M. für Krapp 
an Frankreich bezahlt wurden, ist heute die Einnahme Oeutschlands für Alizarin viermal 
so hoch. Der Butzen, den die deutsche Volkswirtschaft von diesen Entdeckungen gehabt 
hat, wird mit über 1 Milliarde gewiß nicht zu hoch eingeschätzt. 
Oie genannten echten Farben kommen nur für ganz bestimmte Zwecke der Textil- 
industrie zur Verwendung, für die Farben des täglichen Gebrauchs war die Auffindung 
des ersten künstlichen Farbstoffes, der die Baumwolle ohne Vorbehand- 
lung färbte, von größter Bedeutung. Der erste derartige Farbstoff, Benzidin, ist 
schon im Jahre 1884 entdeckt worden, aber erst in den Zahren 1895—1900 wurden die 
Holzfarben hierdurch allmählich verdrängt, nach dem man gelernt hatte, die Echtheit dieser 
Färbungen durch Nachbehandeln zu verbessern. Vervollständigt wurden diese direkten 
Farbstoffe durch die Gruppe der sogen. Schwefelfarbstoffe, die sich seit 1900 immer 
mehr einbürgerten. Heute können die Holzfarben in der Baumwollfärberei als fast voll- 
ständig verdrängt angesehen werden. Nur für Schwarz und wenige Spezialartikel wird 
das Blauholz noch verwendet. In früherer Zeit hatte man sich daran gewöhnt, daß 
eine echte Farbe nicht gleichzeitig einen sehr lebhaften Farbton zeigen konnte. Von 
dem Jahre 1902 ab führte sich jedoch eine neue Klasse von Farbstoffen in der Färberei 
ein, die in bezug auf Licht-, Wasch- und Chlorechtheit selbst den bis dahin echtesten 
Farben, Indigo und Türkischrot, noch weit überlegen war und dabei eine unübertroffen 
lebhafte und klare NAuance zeigte. Man bezeichnet diese Klasse von Farbstoffen als 
Küpenfarbstoffe. Fast alle Farbenfabriken sind mit Erzeugnissen dieser Klasse her- 
ausgekommen, die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen mit den Ind- 
anthren-, die Farbenfabriken vormals Bayer & Co. in Leverkusen mit den Algol-, 
die Farbwerke vormals Meister Lucius & Brüning in Höchst mit den Helindon-, Leopold 
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