Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
154 Cextilindustrie. VI. Buch. 
  
Cassella & Co. in Frankfurt a. M. mit den Hydron- und Kalle & Co. in Biebrich mit den 
Thbioindigo-Farbstoffen. Dieser Farbstoffklasse gehört anscheinend die Zukunft. Mit 
ihrer Hilfe war es möglich, die jetzt viel begehrten wasch- und kochbaren Kleider-, 
Blusen-, Hemden-, Schürzenstoffe, Tischdecken usw. in schönen und lebhaften Farben 
herzustellen. Hier ist es die Färberei gewesen, welche anregend und fördernd auf 
die Mode eingewirkt hat, denn wie hätte sonst das Publikum beispielsweise waschbare 
Blusen in klaren und hellen Farben verlangen können, wenn nicht die Färberei imstande 
wäre, diese herzustellen. Es ist bedauerlich, daß derartige Ansprüche bei dem Publikum 
so vereinzelt auftreten und dasselbe sich in den weitaus meisten Fällen mit weniger 
echten und dafür etwas billigeren Farben begnügt. Die heutige Färberei würde in 
der Lage sein, für alle Industriezweige viel schönere und echtere Farben herzustellen, 
als sie jetzt durchschnittlich verlangt werden. Auch in lichtechten Farben ist die Baum- 
wollfärberei leistungsfähig. Tapeten, Möbel- und Dekorationsstoffe usw. können viel 
lichtechter hergestellt werden, als das Publikum sie heute verlangt. 
Wohl auf keinem Gebiete der Textilindustrie ist die Echtfärberei so einfach wie 
in der Wollfärberei. Die vor dem Fahre 1888 üblichen Verfahren des Beizens der 
Wolle mit Chrom oder Tonerdesalzen in der Siedehitze und nachfolgendes Ausfärben mit 
Alizarinfarben wurde nach und nach aufgegeben. Man vollzieht das Beizen und Färben 
heute in einer Operation und spart dadurch an Zeit, Arbeitslohn und Dampf und schont 
die Wolle. Trotz der einfachen Färbeweise sind die erhaltenen Färbungen hervorragend 
walk-, wasch- und lichtecht. Sie können zum Färben der Herrenkleiderstoffe unbedenk- 
lich verwendet werden, sogar Uniformstoffe, an deren SEchtheit die höchsten Anforderungen 
gestellt werden, können auf diese Weise gefärbt werden. 
Im Färben der edelsten Faser, der Seide, sind weniger große Fortschritte zu 
verzeichnen. Das eigentliche Färben geschieht hier noch fast genau so wie vor 25 Zahren, 
nur sind die verwendeten Farbstoffe teilweise etwas andere geworden. Holz- und Natur- 
farben werden noch viel verwendet. Für Schwarz wird vor allem Blauholz und der 
Katechu noch in kolossalen Mengen verbraucht und diese Naturfarbstoffe konnten bisher 
noch durch keinen Ersatz verdrängt werden. Erst neuerdings führen sich die Küpenfarb- 
stoffe ein. Im Gegensatz hierzu sind die Fortschritte, die auf dem Gebiet der Seiden- 
erschwerung gemacht worden sind, außerordentlich große. Bekanntlich verliert die Seide 
während des Färbeprozesses 20—30% ihres Gewichtes dadurch, daß sich der Bast von 
dem Seidenfaden ablöst. Diesen Verlust auszugleichen, ist man von jeher bestrebt ge- 
wesen. Das neueste Verfahren, das I. N. Neuhaus in Krefeld im Zahre 1892 brachte, 
besteht darin, daß man die Seide abwechselnd mit Zinnchlorid, phosphorsaurem Natron 
und Wasserglas behandelt. Diese sogen. Zinnphosphatsilikatcharge fand rasch Eingang 
in die Technik, und heute wird wohl jede zu erschwerende Seide nach diesem Verfahren, 
das nur kleine Abänderungen erfahren hat, behandelt. Mit der Beschwerung der Seide 
tritt gleichzeitig auch eine Volumvermehrung des Fadens ein, und dieses ist es wohl, 
welches in der Hauptsache dazu beigetragen hat, daß die erschwerte Seide sich beim 
Fabrikanten und auch beim kaufenden Publikum so großer Beliebtheit erfreut. Durch 
die Volumvermehrung ist der Fabrikant imstande, mit der gleichen Menge Seide be- 
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