Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Textilindustrie. 157 
  
Luftbewegung durch Windflügel im Innern der Trockenkästen hat das englische Prinzip, 
die Luft hauptsächlich an der Kette entlang streichen zu lassen, überholt. Die in Ver- 
bindung mit den Schlichtmaschinen arbeitende Kettenkreuz-Einlesemaschine, die in weni- 
gen Minuten die Arbeit verrichtet, ist eine deutsche Erfindung. Hinsichtlich der ameri- 
kanischen Kettenanknotmaschine, die 100 000 Knoten in 10 Stunden leistet, hat die deutsche 
Firma Gentsch in Glauchau die Konkurrenz mit einer Kettenandrehmaschine aufge- 
nommen. Maschinen zum Einziehen der Kette in das Geschirr und das Blatt werden 
vorläufig noch ausschließlich von einer amerikanischen Firma geliefert. Zedoch baut 
die Firma Baer & Co. in Zürich seit Jahren eine Maschine zum Einziehen in das Blatt, 
die im Wuppertal viel im Gebrauch ist. Die Schußspulmaschinen, sowohl als Kötzer- 
als auch als Schlauchcopsmaschine, sind von deutschen Firmen so verbessert worden, daß 
sie die englischen Konstruktionen in den Schatten stellen. 
Die Stühle für die Baumwollweberei, die von den Engländern als Massen- 
artikel in ziemlich roher Ausführung geliefert werden, sind unter dem Einfluß deutscher 
Konstrukteure zu Präzisionsmaschinen umgestaltet worden. Sie wurden zuerst in Schle- 
sien und Sachsen ausgenommen. Der Westen, veranlaßt durch seine geographische Lage, 
Tradition und persönliche Beziehungen, bezieht teilweise heute noch englische Fabrikate, 
die Einfuhr geht jedoch ständig zurück. Die hauptsächlichsten Berbesserungen des Web- 
stuhls zielen seit einigen Jahren dahin, ihn automatisch einzurichten, namentlich die 
Schußspulen selbsttätig auszuwechseln und den Stuhl bei Fadenbruch still zu setzen, 
also nicht den Stuhl, sondern den Arbeiter, der mehrere Stühle bedienen kann, leistungs- 
fähiger zu machen. Die Neuerungen sind uns aus Amerika überkommen. Solange 
die amerikanischen Patente in Gültigkeit sind, sind die deutschen Stuhlbauer an Lizenz- 
verträge gebunden. Die Versuche deutscher Konstrukteure, nicht die Spulen allein, 
sondern die Schützen mit Spule automatisch auszuwechseln, haben noch nicht viel Er- 
folge gehabt. 
Leinenindustrie. Im Bau von Spinnmaschinen für den Flachs haben die 
Engländer am längsten das Monopol behauptet, namentlich 
dadurch, daß es ein Syndikat der drei leistungsfähigsten Firmen lange Zeit verstand, 
keine Konkurrenz aufkommen zu lassen. Erst in neuester Zeit ist es zuerst anderen 
englischen Firmen und dann auch den deutschen Firmen Sendel & Co. in Chemnitz, 
Oskar Schimmel & Co. in Chemnitz, C. Oswald Liebscher in Chemnitz und N. Schlum- 
berger K Co. in Gebweiler gelungen, in Wettbewerb mit dem Ringe zu treten. Zu 
den wichtigsten Errungenschaften ist zunächst die automatisch arbeitende Flachskluppen- 
Ein- und Um- und Ausspannvorrichtung an den Hechelmaschinen zu rechnen. Alle 
bei dieser Maschine noch erforderlichen Handarbeiten bis auf das Einlegen und Weg- 
nehmen der Flachsbänder wird selbsttätig von der Maschine besorgt, so daß die vorher 
erforderlichen vier Bedienungspersonen durch eine ersetzt sind und die Maschine auch 
noch leistungsfähiger geworden ist. Zu erwähnen wären noch die Versuche, die ge- 
hechelten Flachsbärte unmittelbar an die Anlegemaschine abzugeben. Einen großen 
Fortschritt zur Erzielung von Materialersparnis, die bei dem immer teurer werdenden 
  
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