Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
176 Steine und Erden. VI. Buch. 
  
von Säuren und von Chlor, ferner große Wannen für elektrolptische und photographische 
Zwecke hergestellt. 
Im deutschen Kannenbäckerlande im Westerwald blüht seit Jahren die Geschirr- 
fabrikation aus Steinzeug. Ihr ist jetzt durch Künstler, namentlich durch den bekannten 
Professor Riemerschmied eine neue Richtung gegeben. Die Formgebung und die äußere 
Ausstattung sind erheblich verbessert worden. Von der teuren Beheizung der Brennöfen 
mit Holz fängt man an abzugehen. Ein kühner Griff hat gezeigt, daß man auch mit 
Steinkohlen feuern kann. Die Befürchtungen, daß Aschenteilchen sich auf der Ober- 
fläche der Krüge und Kannen niederschlagen könnten, haben sich allerdings bewahr- 
heitet, aber nicht zum Schaden der Waren. ODenn die kleinen braunen Flecken, die sich 
hier und dort ansetzen und von der Glasur ausgenommen werden, verleihen entgegen 
den gehegten Befürchtungen den Körpern einen gewissen Reiz. Der Ubergang zur 
Steinkohlenfeuerung ist geeignet, viele kleine Existenzen zu erhalten. Denn die Kannen- 
bäckerei im Westerwald wird noch viel in der Hausindustrie betrieben. 
Kadiner Majolika. Der Anregung des königlichen Besitzers von Kadinen ist die 
Errichtung der dortigen Majolikawerkstätte zu verdanken. 
Auf dem Gebiete der Kunst hat der Osten Deutschlands einmal eine Rolle gespielt. 
Oie alten Danziger Möbel, die gewaltigen Schränke und Tische und die alte Danziger 
Architektur sind noch heute berühmt. Den Sinn für die Kunst neu zu beleben, sollte 
Aufgabe der Kadiner Werkstatt sein. Insbesondere sollten die Erzeugnisse Vorbilder 
sein für die Töpfer Tolkemits, der nächsten Stadt am Frischen Haff, die schon seit 
Jahrhunderten Töpferwaren herstellen. Die Kadiner Tonwaren haben einen schönen 
roten Ton. Sie werden teils ohne Glasur und Bemalung, teils glasiert und farbenreich 
bemalt in den Handel gebracht. Nach Entwürfen tüchtiger Künstler, wie Carl Begas, 
Manzel, von Uchtritz, Götz, Splieth u. a. sind herrliche Gefäße und Reliefs geschaffen worden. 
  
Dem Geheimnis der Terra-Sigillata-Waren der 
Alten ist man näher gekommen. Zwar müssen die 
Versuche, Tonwaren durch den Zusatz chemischer Stoffe zum Begußton den eigen- 
tümlichen matten Glanz zu verleihen, der die Sigillatawaren auszeichnet, als ge- 
scheitert angesehen werden. Indessen gelang es den Kunsttöpfern Fischer (Vater und 
Sohn) in Sulzbach in der Oberpfalz, schöne Nachahmungen durch Benutzung des 
Polierverfahrens an der rohen Ware zu erzielen. Wenn man einen rohen, noch feuchten 
Tonscherben durch Uberstreichen mit Lappen oder Watte poliert, so erlangt er einen 
gewissen Glanz, den er auch nach dem Brennen behält. Oie beiden Fischer haben den 
Scherben nicht selbst poliert, sondern ihn zuvor mit einem roten Uberzug von Begußton 
(Engobe) versehen und dann poliert. Sie stellten also den Formling auf der Töpfer- 
scheibe her, begossen den Formkörper mit der Engobe und polierten die Oberfläche zu- 
nächst mit einer weichen Bürste, dann mit Watte. Die gebrannten Waren zeigen einen 
schönen matten Glanz. Im Altertumsmuseum von Regensburg sind alte, in der Um- 
gebung von Regensburg gefundene, echte Sigillaten und neben ihnen die Fischerschen 
Terra-Sigillata-Waren. 
  
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