Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
212 Die Gesamtentwicklung der deutschen Industrie. VI. Buch. 
  
Zugleich wächst in Deutschland der Umfang der gewerbetreibenden Bevölkerung gegen- 
über der Landwirtschaft. 1871 umfaßte die Landwirtschaft 47,5% Berufsangehörige, 
1907 28,70%. Dem Gewerbe gehörten 1871 32,8% , 1907 42,8% der Gesamtbevölkerung 
an; Gewerbe und Handel zusammen zählten 1871 41,8% , 1907 56,2 % Berufsangehörige 
(b. h. Erwerbstätige mit Angehörigen) unter der Bevölkerung des Reichs. Zn Gewerbe, 
Handel und Verkehr fanden 1907 34,7 Millionen, in der Landwirtschaft 17,6 Millionen ihr 
Brot. Die große Volksvermehrung, die seit 1870 rund 23 Millionen betrug, ist allein den 
Städten (und damit Gewerbe und Handel) und unter ihnen wieder besonders den Groß- 
städten zugeflossen, während sich die Landbevölkerung (auch absolut) vermindert hat.“!) 
Wenden wir von der jüngsten Vergangenheit den Blick in die Zukunft, so steht vor 
uns die schwere Frage, ob die bisherige so günstige Entwicklung anhalten wird. Niemand 
ist imstande, darauf eine exakte Antwort zu geben. Wird der Inlandsbedarf anhalten, 
wenn, wie es gegenwärtig den Anschein hat, die natürliche Bevölkerungszunahme nicht 
im gleichen Maße wie in den letzten Jahrzehnten weiter steigt? Wird der Auslands- 
markt auch fernerhin genügend aufnahmefähig für deutsche Waren bleiben? Wird stets 
genügend Kapital vorhanden sein, um den Ausdehnungstendenzen der industriellen 
Werke zu entsprechen? 
Man wird sich nicht verhehlen dürfen, daß die Schwierigkeiten wachsen; zugleich 
aber wird man gerade aus der Festigkeit und Stetigkeit, die die deutsche Indusftrie in 
den letzten 25 Jahren erlangt hat, die Hoffnung schöpfen dürfen, daß das bisher Errungene 
erhalten bleiben und weiter ausgebaut werden wird. 
2. Die deutsche Industrie und der Weltmarkt der Gegenwart. 
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Industrie mit der Weltwirtschaft. die steigende Aufnahmefähigkeit des in- 
neren Marktes in den Vordergrund stellen. Der Absatz im Inlande muß die gesunde 
Grundlage einer nationalen Industrie bleiben. Und sicherlich gehört es zu den erfreu- 
lichsten Tatsachen der jüngsten Entwicklung, daß man statistisch nachweisen kann, daß 
zwar der Außenhandel stark zugenommen hat, der Absatz innerhalb der Reichsgrenzen 
aber noch mehr gestiegen ist. Das ist die eine Seite der Aufwärtsbewegung. Die andere 
hat jedoch keineswegs fehlen dürfen: die Ausdehnung des Warenexports oder allgemeiner 
betrachtet: die Verflechtung der Industrie mit der Weltwirtschaft. Es wurde oben schon 
angedeutet, daß sich diese organische Einordnung des deutschen Großgewerbes in die 
Handelsbeziehungen des Erdballs in der Konjunkturentwicklung wiedergespiegelt hat. 
Hier interessiert uns besonders die Teilnahme Deutschlands am Bezug und an der Liefe- 
rung von Waren im Verkehr mit dem Auslande. Wie mit dem Regierungsantritte 
  
  
1) Auf die Ergebnisse der Betriebszählung hier einzugehen, würde zu weit führen. Es ist auch in 
letzter Zeit darüber sehr viel veröffentlicht worden. Vgl. z. B. Albert Hesse, Die wirtschaftliche Ent- 
wicklung des Deutschen Reichs, Zena 1913. 
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