Polizei (VI. Polizeiverordnung)
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VI. polizei-Verordnung
5 1. Begriff und rechtliche Natur. 3# 2. Das delegierende
Gesetz und seine Berschiedenheiten. 1 3. Das Berhältnis
der Polizei-Berordnung zu anderen Normen. 1 4. Gegen-
stand und Inhalt der Polizei-Verordnung. 4 5. Beteiligte
Behörden: 1. Reichsbehörden: Konfuln und Schutzgebiete;
2. Preußen; 3. Bayern; 4. Sachsen; 5. Württemberg:;
6. Baden; 7. Hessen; 8. Elsaß-Lothringen. 1 6. Publi-
kation. 1 7. Aufhebung. 1 8. Kontrollen.
1. Begriff und rechtliche Natur. Pol V,
polizeiliche Verordnung oder polizeiliche Straf-
verordnung bedeutet im systematischen Verstande
die von einer PolBehörde ausgehende Rechts-
vorschrift, durch welche im polizeilichen Interesse
gewisse Handlungen oder Unterlassungen bei
Strafe befohlen werden. Während aber in Preu-
ßhen der Ausdruck Pol V in obigem Sinne in ge-
wissem Umfange einen terminus technicus der
Gesetzes= und Behördensprache darstellt, wird im
süddeutschen Recht der Ausdruck „Verordnung“
meistens für die vom Monarchen oder doch den
Ministerien (Baden) ausgehenden Normen reser-
viert, während in Beziehung auf die niederen
Organe der Verwaltung schlechthin von „polizei-
lichen Vorschriften“ gesprochen wird.
Die Pol V hat eine doppelte Rechtsnatur. Sie
ist materiell, ihrem Inhalte nach, ein Gesetz (im
materiellen Sinne), eine Rechtsvorschrift, durch
welche die Sphäre der Staatsgewalt und der
Untertanen begrenzt und bestimmt ist; formell
dagegen ist die Pol V eine Verordnung, d. h. eine
von den Organen der Verwaltung (im Gegensatz
zu den Organen der Gesetzgebung: Monarch mit
Volksvertretung) ausgehende Norm. Durch beide
Momente ist ihr Recht beeinflußt.
§ 2. Das delegierende Gesetz nnd seine Ver-
schiedenheiten. Die Befugnis der PolBehörden,
durch rechtliche, namentlich strafrechtliche Vor-
schriften in den Rechtszustand der Untertanen ein-
zugreifen, beruht nach dem Staatsrecht des mo-
dernen Rechtsstaats auf einer ihnen durch Gesetz
(mit Zustimmung der Volksvertretung) erteilten
Ermähchtigung, einer gesetzlichen Delegation, oder,
wie die süddeutschen Pol StGB sagen, einem
gesetzlichen „Vorbehalt“. Das delegierende Gesetz
kann namentlich folgende durchgreifende Verschie-
denheiten aufweisen. Danach unterscheidet man:
1. Reichsgesetzliche und landes-
gesetzliche Delegation, je nachdem das
delegierende Gesetz ein Reichsgesetz oder Landes-
gesetz ist. Sowie aber das delegierende Gesetz
selbst, wenn es Reichsgesetz ist, jedes entgegen-
stehende Landesgesetz beseitigt, so teilt es seine
Kraft auch den auf seinem Grunde ergehenden
Pol V mit, die daher, soweit das Reichsgesetz nichts
anderes bestimmt, als materielles Reichsrecht selbst
die Kraft haben, entgegenstehende landesgesetz-
liche Normen zu beseitigen. Von der reichsgesetz-
lichen Dele ) ation zu unterscheiden ist aber
die in einem Reichsgesetz sich findende Verwei-
sung auf Pol, die eventuell auf Grund vor-
handener landesgesetzlicher Delegation ergehen
sollen. Wann das eine, wann das andere vor-
liegt, ist Sache der Auslegung. Daß die einschlä-
gigen Bestimmungen im 29. Abschnitt des Steh
bloße Verweisungen enthalten, dürfte jetzt wissen-
schaftlich überwiegend feststehen, während die
GewO umfassend den PolBehörden selbständige
Ermächtigungen erteilt.
2. Delegation für Norm und
Strafgesetz oder nur zur Norm-
feststellung, je nachdem sich die Befugnis
der Behörden sowohl auf den Ausspruch des poli-
zeilichen Ge= oder Verbotes, als auch der Straf-
sanktion erstrecken oder nur den ersteren umfassen
oll. Im letzteren Falle bestimmt sich die Bestra-
fung des Uebertreters unmittelbar nach dem Ge-
setze. Die Beschränkung auf die Normfeststellung
ist im wesentlichen das System der bayrischen,
württembergischen, badischen und elsaß-lothringi-
schen Gesetze, während in Sachsen und Hessen,
namentlich aber in Preußen die Pol Behörden im
Rahmen reichs= oder landesgesetzlicher Bestim-
mungen die Strafandrohung in einer für den
Richter verbindlichen Weise meist selbst zu über-
nehmen haben. Die Reichsgesetze befolgen bis
jetzt ein gemischtes System.
3. Allgemeine und spezielle De-
legation. Bei der letzteren bezieht sich die
Befugnis einer Pol Behörde auf eine, bald enger,
bald weiter begrenzte Einzelmaterie; bei der
ersteren wird dieselbe durch allgemeinere Formeln
auf den Gesamtumfang ihres polizeilichen Wir-
kungskreises oder doch wesentliche Teile desselben
erstreckt. Das bayrische, württembergische und ba-
dische Pol St GB befolgen grundsätzlich das System,
ohne allgemeine Delegation in einzelnen Para-
graphen polizeiliche Vorschriften, deren Tatbe-
stand sie umschreiben (z. B. Schlasstellen, Leichen-
schau, Brieftaubenverkehr; vgl. auch analog die
speziellen Verweisungen im 29. Abschnitt des
StEGB) unter unmittelbarer Strafandrohung
„vorzubehalten"“. Ihnen steht namentlich das
preußische Recht gegenüber, das in dem grund-
legenden G über die Pol Veriw v. 11. 3. 50 und der
entsprechenden V für die neuen Provinzen vom
20. 9. 67 §§ 5. 6 zwar auch eine Reihe einzelner
Materien aufführt, die zu den Gegenständen orts-
polizeilicher Vorschriften gehören sollen, schließlich
aber doch (und ähnlich für die Regierungen in
I#s 11, 12) diesen auch „alles andere“ überläßt,
„was im besonderen Interesse der Gemeinden und
ihrer Angehörigen polizeilich geordnet werden
muß“ oder (für die Regierungen) dessen „polizei-
liche Regelung durch die Verhältnisse der Gemein-
den oder des Bezirks gefordert wird.“ Allerdings
findet eine Annäherung beider Systeme insofern
statt, als einerseits auch neben der allgemeinen
spezielle Delegationen für einzelne Materien nicht
ausgeschlossen sind und andererseits die süddeut-
schen Gesetzbücher zum Teil durch den allgemeinen
Vorbehalt königlicher (Bayern a 9) oder selbst
behördlicher (Baden §& 29) Notverordnungen („All-
gemeinverfügungen“: Thoma 279) eine Ergän-
zung ihres Systems „für den Fall außerordent-
licher Vorkommnisse“ eintreten lassen.
§s 3. Das Verhältnis der Polizeiverordnung
zu anderen Normen.
1. Das Verhältnis einer Pol V zu dem die Dele-
gation enthaltenden Gesetze ist ein begrifflich be-
stimmtes. Die formellen und materiellen Vor-
schriften des letzteren bilden den Rahmen, inner-
halb dessen sich die erstere zu halten hat; jede
Ueberschreitung desselben macht ihren Inhalt
nichtig und unverbindlich.