VI. Buch. Oie deutsche Landwirtschaft. 23
in die letztere hinübergeführt werden mupßte, so zeigte sich doch sehr bald, wie unendlich
viel wirksamer die mit einem — wenn auch beschränkten — Besteuerungerecht aus-
gestatteten und den gesamten Berufsstand erfassenden Kammern die Berufsinteressen
zu fördern und zu vertreten vermochten.
Nach dem preußischen Gesetz vom 30. Zuni 1894 und den analogen Bestimmungen
für die übrigen deutschen Bundesstaaten haben die Kammern die Aufgabe:
odie Gesamtinteressen der Land- und Forstwirtschaft ihres Bezirkes wahr-
zunehmen“ — „die Verwaltungsbehörden bei allen die Land- und Forstwirtschaft
betreffenden Fragen durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung von Gutachtungen
zu unterstützen“" — „den technischen Fortschritt der Landwirtschaft zu fördern“ —
"bei der Verwaltung und den Preisnotierungen der Produktenbörsen, sowie der
Märkte, insbesondere der VBiehmärkte, mitzuwirken“.
Die preußischen Landwirtschaftskammern erkannten sehr bald, in wieviel höherem
Maße es ihnen möglich werden würde, die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen
und namentlich die allgemeineren landwirtschaftlichen Interessen sowohl gegenüber
Kommunal-, Staats- und Reichsbehörden als auch gegenüber anderen Berufsständen
und in der Gesetzgebung zu vertreten, wenn sie sich hierbei auf eine gemeinsame
Zentralstelle für das ganze preußische Staatsgebiet stützen könnten. Sie schufen sich
daher bereits im Jahre 1897 — also bevor noch in allen Provinzen Kammern errichtet
waren — selbständig eine gemeinsame Spitze in der sogenannten „Zentralstelle der
preußischen Landwirtschaftskammern“. Sie haben es aber dankbar begrüßt, als im
Zahre 1898, nachdem in allen Provinzen Kammern errichtet waren, das altehrwürdige
Institut des preußischen Landesökonomiekollegiums durch Königliche Verordnung
zur Zentralstelle für die Erledigung der gemeinsamen Aufgaben der Land-
wirtschaftskammern umgewandelt und damit seine bisherige ausschließliche Aufgabe der
Beratung des Landwirtschaftsministers erheblich erweitert wurde.
Es würde zu weit führen, die ähnliche Entwickelung auch in der Mehrzahl der
übrigen deutschen Bundesstaaten zu verfolgen. Heute besteht in fast allen Bundes-
staaten eine entweder auf Gesetz oder auf Verordnung beruhende Organisation und
Vertretung des gesamten landwirtschaftlichen Berufsstandes und auch in den drei größeren
Bundesstaaten, welche bisher Landwirtschaftskammern mit Besteuerungerecht noch nicht
besitzen, wie Bayern, Württemberg und Mecklenburg, steht deren baldige Errichtung bevor.
Heutscher Landwirtschaftsrat. Oie einzelstaatlichen Vertretungen des land-
wirtschaftlichen Berufsstandes haben wieder-
um ihre gemeinsame Spitze seit der Begründung des Reichs in dem Deutschen Land-
wirtschaftsrat gefunden. Er hat die Aufgabe, die landwirtschaftlichen Interessen
im Gesamtumfange des ODeutschen Reiches wahrzunehmen. Es leuchtet ein, daß auch
das Ansehen und die Bedeutung des Deutschen Landwirtschaftsrats dadurch erheblich
steigen mußte, daß die in ihm vereinigten bundesstaatlichen Vertretungen nicht mehr
lediglich auf freier Vereinigung, sondern auf gesetzlicher Grundlage ruhten. Die Be-
deutung und die Aufgaben des Deutschen Landwirtschaftsrats, an dessen Beratungen
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