Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
228 Die Gesamtentwicklung der deutschen Industrie. VI. Buch. 
  
dahin mit ihren Erzeugnissen den Markt beherrscht hatte, am Export verhindert; die 
Kirner Erzeugnisse mußten von Leuten gekauft werden, die vorher nichts davon wissen 
wollten. So wurden die Leistungen der Firma bekannt, ihre Produkte führten sich 
vorteilhaft auf dem Weltmarkt ein; ein mächtiger Aufschwung war die Folge“. Es ist 
lehrreich, an der Geschichte dieser Firma als an einem oft wiederholten Einzelfall zu 
studieren, wie dann nach 1888 die friedliche, jedoch weltpolitisch orientierte Politik 
das Unternehmen weitergefördert hat. Gerade die Beziehungen zu Indien, das Ziegen- 
und Schaffelle liefert, konnten nur bei einer solchen Auslandspolitik des Reichs gedeihen. 
Bielleicht am deutlichsten unter allen Industrien der Fertig- 
waren läßt sich der Fortschritt, der mit dem Ubergang zum 
Großbetriebe verknüpft ist, in der Schuhmacherei beobachten. Hier ist immer mehr 
in einem allen Konsumenten bekannten Grade die Massenherstellung auf mechanischem 
Wege in der Fabrik an die Stelle der Einzelproduktion des Handwerks getreten. So 
berichtet Huber (S. 228) von Württemberg: „Wie das gesamte Bekleidungsgewerbe, 
so kann auch die Schuhwarenindustrie als typisches Beispiel dafür dienen, wie ein sonst 
wenig ansehnlicher Gewerbezweig vermittels des großkapitalistischen Maschinenbetriebes 
und der Spezialisierung nach Uberwindung der (sozialen) Übergangsbedrängnisse sich 
in wenigen Jahrzehnten zu einer ansehnlichen Wohlstandsquelle für ein Land empor- 
geschwungen hat.“ War um die Mitte des vorigen Jahrhunderts das Schuhmacherhand- 
werk immer unrentabler geworden, so eröffnete sich in der von Amerika eindringenden 
Benutzung der Arbeitsmaschine eine neue Entwicklungsmöglichkeit. In den 60er Zahren 
war es die Nähmaschine, in den 90er Jahren — nach einigen dazwischenliegenden 
technischen Fortschritten — die Zwickmaschine, deren Einführung Marksteine der In- 
bustrialisierung bildeten. Die dadurch ermöglichte Massenproduktion, die eine Verbil- 
ligung der Erzeugnisse, im allgemeinen aber durchaus keine Qualitätsverschlechterung 
mit sich brachte, war ein Gebot der Bevölkerungsvermehrung und der Steigerung der 
Bedürfnisse; das alte Handwerkertum hätte diesen Anforderungen allein nicht nach- 
kommen können. 
d) Schuhindustrie. 
  
Eine besonders wichtige Fertigwarenindustrie, deren Be- 
deutung für das deutsche Wirtschaftsleben meist unterschätzt 
wird, ist die Papierindustrie. Sie hat am Aufschwunge des deutschen Gewerbes 
einen großen Anteil. Daß davon meist selten die Rede ist, mag wohl in den recht kompli- 
zierten Verhältnissen liegen, die sie hinsichtlich ihrer Technik wie ihrer ökonomischen 
Organisation aufzuweisen hat. Um welche Werte und welche Verbrauchsmengen es sich 
aber in dieser Industrie handelt, lehrt eine statistische Zusammenstellung, die der Verein 
deutscher Papierfabrikanten veröffentlicht hat:). In ihr ist die Papier- und Pappen- 
erzeugung neben die Produktionsergebnisse einiger großen Industrien gestellt mit dem 
Ergebnis, daß „die deutsche Papier- und Pappenfabrikation im Jahre 1909 zwei Drittel, 
und daß sie im Jahre 1910 trotz der starken Konjunktur für Eisen und Stahl dem Werte 
½)) Mitgeteilt auf S. 11ff. des Jahresberichts für 1912/13 (Berlin, Druck von Otto Elmer, Mai 1915. 
e) Papierindustrie. 
  
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