Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
240 Der auswärtige Handel. VI. Buch. 
  
Mancherlei doktrinär anmutende Reden aus jener Zeit über „internationale Arbeits- 
teilung“ rechtfertigen solche Annahme. Aber die große Mehrheit derjenigen, die die 
Handelsvertragspolitik mitgemacht haben, war nichts weniger als „landwirtschaftsfeind- 
lich" — am allerwenigsten die Reichsregierung. Daß man das englische Beispiel 
nicht nachahmen dürfe, daß Deutschland aus den verschiedensten Gründen auf die Er- 
haltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft angewiesen sei, war nicht zuletzt auch 
Caprivis tiefeingewurzelte Uberzeugung, der er oft genug Ausdruck gegeben hat. Nach 
der damaligen Sachlage aber, vor allem im Hinblick auf den hohen Stand der agrari- 
schen Preise, glaubte man, die Herabsetzung der industriellen Zölle des Auslandes und 
deren vertragliche Bindung für längere Zeit mit einer Reduktion der Getreidezölle er- 
kaufen zu dürfen, ohne daß die deutsche Landwirtschaft geschädigt würde. Dies um so 
mehr, als ja der im Jahre 1887 eingeführte Zoll von 5 M. gar nicht in erster Linie als 
Schutzzoll gedacht war, sondern Kampfeszwecken gegenüber Rußland dienen sollte. Dies 
war von Bismarck stets mit aller Energie betont worden. Jener Kampfzweck war nun 
erreicht, folglich konnte der Zoll, wenn dem nicht dringende Gründe des Preisstandes 
widersprachen (das Gegenteil war der Fall) wieder reduziert werden. Hierbei ist zu 
beachten, daß diese Reduktion immer noch um 50 Pf. über den Satz von vor 1887 stehen 
blieb. 
Es fragt sich nun, imwieweit alle diese Vor- 
aussetzungen durch die eingetretenen 
Folgewirkungen der Caprivischen Handelspolitik gerechtfertigt worden sind. 
Zweckmäßig erfolgt die Antwort für Industrie und Landwirtschaft gesondert. Daß die 
Wirkung der Handelsverträge für die gewerbliche Tätigkeit Deutschlands und für dessen 
Außenhandel ungemein günstig gewesen ist, wird heute von kaum einer Seite bezweifelt, 
so daß an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen zu werden braucht. Nur die 
zahlenmäßige Entwicklung des Außenhandels sei kurz angeführt. Legen wir zunächst die 
erste Periode der Verträge, die bekanntlich bis zum 1. März 1906 dauerte, zugrunde. 
Ausgangspunkt sei das Jahr 1894, in welchem (20. März) der russische Vertrag in Kraft 
trat. Aus- und Einfuhr stellten sich im Spezialhandel für diese 12 Jahre wie folgt: 
Folgewirkungen der Ara Caprimdi. 
  
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr 
in Mill. Mark in Mill. Mark in Mill. Mark in Mill. Mark 
1894: 4285,5 3051,5 1900: 6043,0 452,6 
1895: 4246,1 3424,1 1901: 53710,3 4512,6 
1896: 4s38,0 3753,8 1902: 6805,8 4812,8 
1897: 4864,6 3786,2 1903: 6321,1 5130,.5 
1898: 4439,7 4010,6 1904: 6854,5 5315,6 
1899: 5783,6 4368,4 1905: 7436,3 5841,8 
Die Aufstellung ergibt eine Durchschnittseinfuhr pro Jahr von 5612,3, eine Aus- 
fuhr von 4596,7 Mill. Mark. Die durchschnittliche jährliche Zunahme beläuft sich bei 
der Einfuhr auf 262,5, bei der Ausfuhr auf 232,5 Mill. Mark. Vergleichen wir hbiermit 
die Steigerung der Außenhandelsziffern in der Zeit von 1872—1890 so springt der 
Unterschied in die Augen. Es ist nun allerdings richtig, daß die Tarifstaaten an 
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