Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Der auswärtige Handel. 241 
  
dieser Entwicklung nicht stärker beteiligt sind als die übrigen Länder in ihrer Gesamt- 
heit. Der Anteil der Tarifstaaten betrug nämlich: 
Einfuhr Mill. Mark Ausfuhr Mill. Mark 
18 . . . . .. 1643,0 = 38% 1060, 5 = 34% 
— „ Ö N 7’2’)77 2684,4 = 36% 1923,5 = 33% 
Dabei ist aber zu beachten, daß in den hier zum Vergleich stehenden 12 Jahren 
der Außenhandel Deutschlands mit den überseeischen Ländern sich stark 
entwickelt hat und so das Gesamtbild sich verschiebt. Diese Möglichkeit der Pflege eines 
erweiterten Marktes ist im übrigen mitbedingt gewesen durch die langfristig geregelten 
handelspolitischen Verhältnisse in den hauptsächlichsten Ländern Europas, die hier ein 
verhältnismäßig stetiges Geschäft sicherten und demgemäß Kraft und Kapital für weitere 
Expansionstätigkeit freimachten. Endlich ist zu bedenken, daß es sich bei mehreren der 
Tarifsvertragsländer um Volkswirtschaften mit stark zunehmender Industrie handelt, 
denen gegenüber schon die Erhaltung der porportionalen Ausfuhrsteigerung ein Erfolg 
ist. Jedenfalls kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Ausfuhrbeziehungen zu 
jenen Vertragsländern bei Fortdauer der handelspolitischen Zustände, wie sie vor der 
Ara Caprivi bestanden, schweren Erschütterungen unterworfen gewesen wären und nicht 
annähernd die gleiche Entwicklung genommen hätten. Oies fällt um so mehr ins Gewicht, 
als es sich bei den Tarifvertragsländern etwa um die Hälfte der gesamten Ausfuhr 
Deutschlands nach dem europäischen Ausland handelt. 
Wirkung auf die Landwirtschaft. Eine tiefergreifende Analpse des deutschen 
Außenhandels soll weiter unten gegeben wer- 
den. An dieser Stelle möge zunächst die Wirkung der Caprivischen Handelsver- 
träge auf die Landwirtschaft kurz zur Darstellung kommen. Ausgangspunkt sei 
die Preisentwicklung für Getreide. Wie bereits bemerkt, kostete der Weizen in Berlin 
1891: 224 M., der Roggen 211 M. per Tonne. Diese Preise gingen in den nächsten Jah- 
ren rapid herunter. Weizen stand im Jahre 1894 auf 1536, Roggen auf 118 M. (Berlin). 
Mithin innerhalb von drei Jahren ein Preissturz von 88 bezw. 93 M. Es bedarf keines 
Wortes der Erklärung, daß die am Körnerbau interessierte Landwirtschaft hierdurch in 
eine schwere Krisis geriet. Es fragt sich nun, inwieweit diese Verhältnisse auf die Cap- 
rivische Handelsvertragspolitik zurückzuführen waren. Der Preissturz bewegte sich zwi- 
schen 88 und 93 M. Der Zoll war aber nur um 15 M. berabgesetzt worden. Nehmen 
wir den Fall, die Handelsverträge wären damals auf der Basis des Tarifes von 1887, 
also mit 5 M. Zoll abgeschlossen worden, so wäre vermutlich irgendwelche nennens- 
werte Opposition nicht erfolgt, denn die Gegner der Caprivischen Politik forderten vor- 
nehmlich die Beibehaltung des Tarifes von 1887. Der Preissturz wäre dann aber nicht 
minder krisenhaft gewesen, da er sich — vorausgesetzt, daß die Zölle volle Wirkung ge- 
habt hätten — immer noch zwischen 75 und 88 M. bewegt hätte. Ee ist deshalb durch- 
aus unberechtigt, den großen Preissturz seit 1891 der Caprivischen Politik zuzuschreiben. 
Er war vielmehr in den allgemeinen Weltmarktpreisen begründet und wurde durch die 
Ermäßigung der deutschen Zölle nur etwa zu einem Sechstel herbeigeführt. Hätte man 
  
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