246 Der auswärtige Handel. VI. Buch.
Identitätsnachweis eingeführt worden, das heißt, es konnte ausländisches Getreide zoll-
frei nach Deutschland eingeführt werden, wenn nachgewiesen wurde, daß ein gleiches
Quantum ausländischen Getreides von demselben Importeur und aus
demselben Transitlager zur Ausfuhr gelangte. Es geschah dies im Interesse der
Durchfuhrmöglichkeit fremden Getreides. Nachdem dieser Identitätsnachweis im Jahre
1882 zugunsten des Müllereigewerbes durchbrochen war, wurde er durch Gesetz vom
1. Mai 1894 allgemein aufgehoben: „Bei der Ausfuhr von Weizen, Roggen, Hafer,
Hülsenfrüchten, Gerste, Naps und Rübsaat aus dem freien Berkehr des Zollinlandes
werden, wenn die ausgeführte Menge wenigstens 500 kg beträgt, auf Antrag des Waren-
führers Bescheinigungen (Einfuhrscheine) erteilt, welche den Inhaber berechtigen, inner-
halb einer vom Bundesrat auf längstens sechs Monate zu bemessenden Frist eine dem
Zollwert der Einfuhrscheine entsprechende Menge der nämlichen Warengattung
ohne Zollentrichtung einzuführen.“ Der Bundesrat wurde außerdem ermächtigt, die
Anrechnung der Scheine zum Nennwert auch bei Begleichung der Zölle für andere
Waren als Getreide zuzulassen. Hiervon machte der Bundesrat alsbald Gebrauch, in-
dem er vom vierten Monat nach dem Datum der Einfuhrscheine ab die Anrechnung auf
Kaffee, Petroleum, Reis usw. genehmigte. Im Anschluß an den Tarif von 1902 ist diese
Angelegenheit nun so geregelt worden, daß die bei der Ausfuhr von Getreide erteilten
Einfuhrscheine zur zollfreien Einfuhr jeder beliebigen Getreidegattung verwendet wer-
den können, und sie ferner zur Verzollung von Kaffee und Petroleum schlechtweg an-
gerechnet werden. Außerdem ist Buchweizen neu ausgenommen worden. Ourch eine
neue Verfügung des Bundesrats ist die Anrechnung für Kaffee und Petroleum bis auf
weiteres inhibiert.
Für die Industrie bedeutet der neue Zolltarif gleichfalls eine Er-
höhung der Zölle auf der ganzen Linie, und zwar vom primitivsten Halbfabrikat bis zum
Fertigprodukt, nicht selten sogar einschließlich wichtiger Rohstoffe. Außerdem zeigen
die neuen Industriezölle eine viel tiefergehende Differenzierung als diejenigen des
früheren Tarifs.
Die Gegner des neuen Tarifs hatten ihre
Stellungnahme u. a. damit motiviert, daß auf
seiner Basis die Erneuerung der Caprivischen Verträge nicht möglich sein werde.
Dies Ziel aber hatte die Reichsregierung mit den Vertragsfreunden, deren Zahl in-
zwischen erheblich zugenommen hatte, als unbedingt erstrebenswert bezeichnet. Sie hat
sich in der Erwartung, daß der neue Zolltarif ein geeignetes Instrument zur Verwirk-
lichung solcher Pläne sei, auch nicht getäuscht. Trotz großer Schwierigkeiten gelang es,
sämtliche Verträge zu erneuern. Es geschah dies in der Form von Zusatzverträgen, unter
Beibehaltung von Form und Inhalt der bisherigen Verträge mit Ausnahme der Tarif-
sätze. Neu ist u. a. die Aufnahme einer Vereinbarung in den Verträgen mit OÖsterreich-
Ungarn, Italien, Belgien, der Schweiz und Serbien, daß zur Entscheidung strittiger
Tariffragen eine schiedsgerichtliche Entscheidung vorgesehen wurde. Dies Schieds-
gericht wird für jeden Streitfall besonders gebildet, und zwar durch drei Schiedsrichter,
Die Erneuerung der Verträge.
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