Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
248 Der auswärtige Handel. VI. Buch. 
  
Ländern Tarifverträge in Kraft sind: Belgien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Japan, 
OÖsterreich-Ungarn, Portugal, Rumänien, Rußland, Schweden, Schweiz und Serbien. 
Die übrigen der vom Deutschen Reich abgeschlossenen Verträge sind Meistbegünstigungs- 
verträge ohne oder mit ganz vereinzelten Tarifbindungen. (Nebenbei sei erwähnt, 
daß auch die Tarifverträge sämtlich die Meistbegünstigungsklausel enthalten.) Solche 
Meistbegünstigungsverträge bestehen mit fast allen Staaten der Erde; in den Ländern 
China und Siam handelt es sich dabei um die einseitige Meistbegünstigung für Deutsch- 
land, während dieses selbst mur den autonomen Tarif gewährt. Im Verkehr mit den 
andern Staaten aber gilt beiderseitige Meistbegünstigung. Einige orientalische Staaten 
(Türkei, Agypten, Marokko, Zanzibar) gewähren Deutschland außerdem einseitige Tarif- 
begünstigungen. Keine Abmachungen bestehen mit Brasilien, Kuba und Kongostaat. 
Einigermaßen kompliziert liegen die handelspolitischen Verhältnisse zwischen Deutsch- 
land und den Vereinigten Staaten. An dieser Stelle muß die Bemerkung genügen, 
daß Oeutschland seinen Vertragstarif und die Vereinigten Staaten ihren Minimal- 
tarif gewähren. Mit England und seinen Kolonien besteht das Meistbegünstigungs- 
verhältnis (seit dem 1. August 1898 als ständig erneuertes „Provisoriumt). Ausge- 
nommen ist Kanada, mit dem seit der Beendigung des Zollkrieges (1910) ein Abkommen 
besteht, demzufolge Kanada seinen Generaltarif anwendet und Deutschland für 24 Posi- 
tionen seines autonomen Tarifes die Zollsätze erhebt, die den Erzeugnissen des meist- 
begünstigsten Landes gewährt werden. 
Versuchen wirnunmehrineine prinzipielle Würdigung 
dieses neuesten Abschnittes deutscher Handelspolitik 
einzutreten. Festzustellen ist da zunächst, daß der 
Grundgedanke der Ara Caprivi auch jetztfestgehalten wordenist: die Bertragspolitik mit 
gebundenen Tarifen. Was damals zu stürmischen Protesten führte und selbst von 
Bismarck ein „Sprung ins Dunkle“ genannt wurde, war inzwischen hinsichtlich seiner 
Zweckmäßigkeit so allgemein anerkannt worden, daß Widerspruch gegen das Prinzip 
sich kaum noch geltend machte. Regierung und Reichstagsmehrheit haben in keinem 
Stadium der Vorbereitungsmaßnahmen einen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß 
die Fortführung der Tarifvertragspolitik dringend geboten sei, und eben deshalb Minimal-- 
sätze des autonomen Tarifs, die dies von vornherein unmöglich machten, schlechterdings 
nicht akzeptierbar seien. Es ist unverkennbar, daß solche Auffassung eine glänzende 
Rechtfertigung des prinzipiell bedeutsamsten Ausgangspunktes der Caprivischen Handels- 
politik bedeutet. Und diese Meinung hat sich erhalten bis auf den heutigen Tag und 
wird — bei allen Bedenken im einzelnen — je länger desto mehr die Herrschaft gewinnen. 
Man kann sich die Abwicklung des mitteleuropäischen Handelsverkehrs ohne das System 
der Tarifverträge mit ihrer langjährigen Gewähr von Stetigkeit und Sicherheit der 
gegenseitigen Bedingungen gar nicht mehr vorstellen. Unübersehbar wären die Zu- 
stände, die sich ergebeen müßten, wenn der vorcaprivische Stand der Dinge, die autonome 
Handelspolitik mit ihrer unerläßlichen Begleiterscheinung des Kampfes aller gegen alle, 
wiederhergestellt würde und damit in die weitverzweigten internationalen Beziehungen 
Würdigung der neuesten 
deutschen Handelspolitik. 
  
  
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