Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
302 Bankwesen. VI. Buch. 
  
haben. Dadurch und durch weitere Einnahmen des Fracht- und Fremdenverkehrs, aus 
Unternehmungen im Auslande, wird schließlich die Zahlungsbilanz aktiv und in allen 
drei Ländern der Goldbestand jährlich größer. Auch hinsichtlich der Art, wie jedes Volk 
seine wirtschaftlichen Bedürfnisse befriedigt, herrscht ein starker Unterschied namentlich 
zwischen Deutschland und Frankreich. In Frankreich ist bei Staat, Gemeinde und Einzel- 
wirtschaften eine viel größere Sparsamkeit üblich als in Deutschland, wo alles im großen, 
manchmal im größten Stil betrieben wird, und wo bei öffentlichen Korporationen 
und in der Einzelwirtschaft häufig genug ein volkswirtschaftlich höchst bedenk- 
licher Luzus Matz gegriffen hat. Die Tatsache, daß allein in den Zahren 1908 und 
1909 Reich, Staat und Gemeinden in Deutschland 3,5 Milliarden Schulden gemacht 
haben, spricht Bücher und Bände. Das Kapital, das über das dringende Bedürfnis 
hinaus in überflüssigen Anlagen festgelegt ist, wird dem allgemeinen wirtschaft- 
lichen Leben entzogen und vermindert, und verteuert das zur Verfügung stehende 
Leihkapital. 
Alles das sind Faktoren für die Gestaltung des Diskonts in einem Lande und 
bei der ungeheuren Bedeutung, die das Diskontgeschäft für unser Bankwesen besitzt, und 
auf die wir schon oben hinwiesen, möchten wir nun noch einiges über das Wesen dieses 
Geschäftes, wie es sich seit einigen Jahrzehnten entwickelt hat, hinzufügen. Für die 
deutschen Kreditbanken, die ja einen erheblichen Teil ihrer fremden Gelder kurzfristig 
anzulegen haben, ist ohnehin das ODiskontgeschäft nicht nur zweckmäßig, sondern ge- 
boten. Die ODiskontierung von Wechseln ist ein wirtschaftlich insofern besonders nütz- 
liches Kreditgeschäft, als es gerade den gewerblichen Teil der Bevölkerung unabhängiger 
vom Kapital macht. Der Produzent oder Kaufmann, der durch Oiskontierung der 
Wechsel alsbald Zahlung erhält, kann sein Geschäft fortsetzen, auch ohne das entsprechende 
liquide Kapital zu besitzen. Aber auch das Kapital, in der Hauptsache die Bankwelt, 
wird durch das Diskontgeschäft begünstigt, denn durch die Kurzfristigkeit des Diskont-- 
kredits ist eine bessere Ausnützung der sonst zins- und nutzlos liegenden, auch kleinsten 
Geldbeträge möglich. Hiernach könnte es den Anschein haben, als ob die nationale 
Arbeit, Handel, Industrie, und Landwirtschaft, Interesse am niedrigen Oiskont 
hat, als ob dagegen die Bankwelt mehr am Bestehen hoher Diskontsätze interessiert 
wäre. Das ist aber doch nur beschränkt der Fall; richtig ist, daß das mittlere und 
kleinere Geschäft in Industrie, Handel, Landwirtschaft, Gewerbe jeder Art, von einer 
möglichsten Stetigkeit und Gleichmäßigkeit des Diskonts Autzen hat, denn ein 
häufiger jäher Wechsel stört ihnen ihre Kalkulation, während der etwa erhöhte Dis- 
kontsatz an sich ihnen keine wesentlichen Nachteile bringt. Richtig ist auch, daß die 
Banken durch einen hohen Diskontsatz nicht so sehr betroffen werden; ihr Verdienst ist 
mehr von der Differenz der Debet- und Kredit-Zinsen beeinflußt als von der Höhe 
des Oiskonts an sich. Von diesem Standpunkt aus kann man sagen, daß die Bank 
von Frankreich am nachhaltigsten den mittleren und kleineren gewerblichen, indu- 
striellen und landwirtschaftlichen Betrieb im Inlande schützt, weil ihr Diskont der nied- 
rigste und stetigste ist; sie gibt den Großkapitalisten und den Kapitalisten überhaupt 
am wenigsten zu verdienen. 
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