Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
  
LTI Bankwesen. Vl. Buch. 
halten, und namentlich ist die Devisenpolitik der Reichsbank gerade in den letzten 
Jahren ein wirksames Mittel geworden, Goldausgänge zu verhindern. Die Reichsbank 
kann nämlich, sobald die Goldausfuhr infolge des Standes der Wechselkurse lohnend 
wird, die ausländischen Devisen im Markte anbieten und dadurch auf den Wechselkurs 
drücken. Die Privatbanken dagegen haben wiederum in Ubereinstimmung mit der Dis- 
kontpolitik der Reichsbank, Devisen in ihren Portefeuilles behalten, um für den Fall 
einer Geldversteifung oder einer Krisis Auslandsgold heranziehen zu können. Gerade 
die Devisenpolitik der Reichsbank unter ihrer jetzigen Leitung hat die Stetigkeit des 
Oiskonts an den Ultimoterminen wesentlich erleichtert; denn ohne das gefüllte Devisen- 
portefeuille hätte die Diskontschraube öfters noch schärfer angezogen werden müssen. 
Das Rückgrat des aktiven Bankgeschäfts bildet 
Das-eigentliche Kreditgeschäft. murgemät das eigentliche Kreditgeschäft 
seine Entwicklung drückt dem modernen Bankwesen die besondere Note auf. Man hat 
mit unbegründeten und manchmal mit begründeten Angriffen die Kreditpolitik der 
deutschen Bankwelt verfolgt und hat immer wieder darauf hingewiesen, daß die Banken 
durch eine übermäßige Unterstützung des Kreditbedürfnisses im Handel und 
Gewerbe, namentlich aber in der Industrie, gewisse ungesunde Erscheinungen in 
unserem Wirtschaftsleben hervorgerufen haben; besonders spielt hier wieder der von 
uns bei der Depositenfrage schon behandelte Hinweis eine Rolle, daß nämlich die Depo- 
sitengelder der Banken zu langfristigen Krediten benutzt worden seien. Gewiß ist 
bei der Kreditgewährung seitens der Bankwelt so manches Mal gesündigt worden; bei 
einer Krisis, wie die der neunziger Fahre, aber auch 1901 und 1907 wurde man sich immer 
wieder bewußt, daß die Grenze raisonnabler Geschäftstätigkeit häufig überschritten sei. 
Allein diese Grenze in jedem Augenblick richtig zu bestimmen, ist herzlich schwierig, 
weit schwieriger als wohlgemute Kritik ahnt. Im Drange und unter dem suggestiven Druck 
einer stark aufsteigenden Konjunktur ist es für den Bankleiter, der doch verdienen, 
sein Geschäft vernünftig erweitern und sich nicht von der Konkurrenz überflügeln lassen 
will, ganz außerordentlich schwer, im richtigen Augenblick nein zu sagen. Die Kredite, 
die verlangt werden, erscheinen im Augenblick des Begehrens fast immer sachlich be- 
gründet; der Kaufmann und Industrielle, der Kredit verlangt, wird in solchen Perioden 
günstiger Wirtschaftsentwicklung nachweisen können, daß er den Kredit produktiv aus- 
nützen kann. Hinterher, wenn die Krisis ausgebrochen ist, wenn die Konjunktur um- 
geschlagen hat, wenn alles, was bisher rosenrot aussah, mit einem Mal grau in grau 
erscheint, ist es natürlich leicht, von einem ÜUbermaß der gewährten Kredite zu sprechen. 
Gerabe auf diesem Gebiet ist ja auch eine regulierende Tätigkeit des Zentralnoten- 
instituts mit Hilfe des Diskontsatzes so außerordentlich wichtig. Solange das Geld 
flüssig und billig ist, wird ohnehin die Neigung, es im Kreditgeschäft möglichst nutzbringend 
zu verwerten, bei den Banken vorhanden sein, und tritt dann nach und nach eine Ver- 
steifung des Geldmarktes ein, zeigt das Anziehen der Diskontschraube auf ein Sinken 
des wirtschaftlichen Barometers, dann ist es gewöhnlich nicht mehr möglich, sich den 
übernommenen Verpflichtungen zu entziehen. Immer wieder wird man dann daran 
  
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