Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
zos Bankwesen. VI. Buch. 
  
diese Frage eine wichtige Rolle gespielt. Mit Vorliebe pflegt man sich darauf zu berufen, 
daß das deutsche Publikum an auswärtigen Anleihen, an Portugiesen, Amerikanern, 
Griechen, Mexikanern usw. sehr viel Geld verloren habe, und daß die Banken auch hierbei 
nicht die Interessen ihres Vaterlandes genügend geschützt hätten. Der Vorwurf, so 
erhoben, ist unbegründet. Die Verluste, bei denen die Banken übrigens selbst recht erheb- 
lich beteiligt waren, liegen Jahrzehnte zurück; heute sind fast alle für Anleihen in Betracht 
kommenden Staaten wirtschaftlich so erstarkt und finanziell in so geordneten Berhält- 
nissen, daß ähnliches, wenigstens in dieser Schärfe, sich kaum wiederholen dürfte. Die 
ganze Technik des Emissionsgeschäftes ist so entwickelt, die Banken haben gelernt, die 
Budgets und Finanzen der kreditsuchenden Staaten so eingehend zu prüfen, der Infor- 
mationsdienst über alle in Betracht kommenden Faktoren ist derart entwickelt, daß 
die verhängnisvollen Zrrtümer zurückliegender Jahrzehnte heute schwerlich gemacht 
werden. Zm übrigen aber ist das Arbeiten deutschen Geldes in Auslandsstaaten volks- 
wirtschaftlich und politisch nicht mur wünschenswert, sondern notwendig. Unsere passive 
Handelsbilanz, das haben wir oben schon gesehen, können wir nur ausgleichen durch 
eine günstige Zahlungsbilanz; diese Zahlungsbilanz aber können wir nur günstig 
gestalten durch Zinsen und Erträge, die wir aus dem Auslande beziehen. Wir können 
außerdem durch die dem fremden Staate gewährten Kredite in den meisten Fällen 
unserer Industrie lohnende Aufträge verschaffen, und können endlich durch Errichtung 
eigener industrielier oder kommerzieller Institute — elektrische Werke, Banken usw. — 
wiederum unsere Zahlungsbilanz wesentlich verbessern. Dieser viel angefeindete Export- 
kapitalismus hat geholfen, Deutschland den Weg zu seiner wirtschaftlichen Entfaltung 
zu bahnen. Selbstverständlich muß auch hier mit Naß und Ziel verfahren werden, 
müssen die wohlverstandenen Interessen des heimischen Wirtschaftslebens entscheidend 
sein. Es ist zu tadeln, wenn in Zeiten knappen Geldstandes ausländische Werte bei 
uns eingeführt werden, bei denen ein wirtschaftlicher Nutzen weder für unsere Industrie 
noch sonst herausspringt. Und ferner wäre es wünschenswert, daß die finanzielle Be- 
teiligung der deutschen Bankwelt im Auslande sich möglichst planvoll vollzöge, 
wennn# sie sich tunlichst auf bestimmte Gebiete konzentriert, wenn also die deutsche 
Finanzpolitik wirklich der Vorposten würde für große deutsche Politik. So 
hat es England und Frankreich gemacht. Frankreich hat die russische Anleihe in 
ungeheuren Beträgen aufgenommen und dadurch das russisch-französische Bündnis 
eigentlich erst ermöglicht; es hat Algier, Tunis, Marokko zunächst mit finanzieller Pene- 
tration erobert, um sie dann auch politisch in Besitz zu nehmen. Und gar England 
hat Südafrika und Agypten, Persien und Ostasien durch eine planvolle und ziel- 
bewußt geleitete Kapitalexportpolitik vor seinen Wagen gespannt. Gewiß: Deutschland 
ist als letztes unter den kapitalspendenden Ländern auf den Plan getreten; es hat sich die 
Gebiete nicht aussuchen können und hat oft rasch zugreifen müssen, um überhaupt dabei 
zu sein, aber es sollte fortan nicht überall auf dem Erdball wahllos und planlos 
sein Kapital investieren, sondern auch Hierin nur wirklich nationale Bankpolitik 
treiben. Hierzu bedarf es guter Informationen, weiten Blicks und Standhaftigkeit seitens 
der auswärtigen politischen Zentralinstanz. In England und Frankreich gehen die 
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