Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Versicherungswesen. 323 
  
Ein einheitliches Staatsaufsichtsrecht ist gekommen. Das Reichsgesetz vom 
12. Mai 1901 hat es gebracht. 
Durch dieses Aufsichtsgesetz sind einheitliche Rechtsgrundlagen für das gesamte Versiche- 
rungsgebiet geschaffen worden. Die Verhältnisse zwischen den privaten Versicherungs- 
unternehmungen und dem Staat wurden nach dem Grundsatz der Konzession und materi- 
ellen Staatsaufsicht geregelt. Uber die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb und die laufende 
Aufsicht finden sich im Gesetz eingehende Bestimmungen, die sich im allgemeinen gut 
bewährt haben. Zum Betrieb der wichtigsten Versicherungszweige werden nur Aktien- 
gesellschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit in der vom Gesetz vorgeschrie- 
benen Form zugelassen. Lediglich aus ganz bestimmten Gründen darf einer inländischen 
Unternehmung die Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe versagt werden. Ebenso sind es 
ganz bestimmte Gründe, welche allein eine Untersagung des Geschäftsbetriebes gegenüber 
einer zugelassenen Unternehmung rechtfertigen. Das Gesetz hat eine neue Reichsbehörde, 
das Kaiserliche Aufsichtsamt für Privatversicherung, geschaffen und bei dieser einen aus 
leitenden Persönlichkeiten der Versicherung bestehenden Versicherungsbeirat. Das Amt hat 
die doppelte Aufgabe, die deutsche Privatversicherung zu fördern, auf sichere Grundlagen 
zu stellen und damit zugleich den Versicherten einen möglichst weitgehenden Schutz zu bieten. 
Aeues Neichsrecht. Aber auch ein einheitliches Reichszivilrecht für die 
Privatversicherung hat Deutschland erhalten, das Reichs- 
gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908. 
Außer uns besitzt nur die Schweiz eine ähnlich umfassende Kodifikation dieses schwie- 
rigen Rechtsgebietes. Das neue Gesetz hat endlich Sicherheit und Stetigkeit in die 
Beziehungen zwischen Versicherern und Versicherten gebracht. Solange es nicht vor- 
handen war, besaßen wir eine sehr schwankende Rechtsprechung, die sich häufig genug 
schlankweg gegen die Versicherer wandte. A#uch dieses Gesetz ist gedacht als Schutzgesetz 
für die Versicherten, indem der Gesetzgeber von der Auffassung ausgeht, daß die Ver- 
sicherten entweder zu schwach oder zu unerfahren sind, um ihre Interessen allein wahr- 
zunehmen. Darüber, ob ein solcher Schutz nötig war, wird es wohl nie zu einer einheit- 
lichen Auffassung kommen. Aber man kann wohl sagen, daß auch die Gegner des Gesetzes 
sich recht schnell an seine Vorschriften gewöhnt haben und zum mindesten darüber erfreut 
sind, daß für das ganze Deutsche Reich einheitliche Rechtsgrundlagen geschaffen wor- 
den sind. Die Rechtsvorschriften beziehen sich im einzelnen auf den Versicherungsantrag, 
auf den Vertragsschluß, auf die Prämienzahlung und die Folgen des Verzugs, auf die 
Versicherung für fremde Rechnung und die Rechtsfolgen bei Veräußerung der versicher- 
ten Sache, ferner auf die Versicherungsagenten. Unter-, Uber- und Doppelversicherungen 
werden geregelt und die bei Eintritt des Versicherungsfalles entstehenden Probleme 
zu lösen gesucht. Nach einem allgemeinen Teil, der für alle oder die meisten Versicherungs- 
zweige gilt, werden in besonderen Abschnitten die wichtigeren unter das Gesetz fallen- 
den Versicherungszweige besonders erörtert. Eine ganze Reihe von Staaten sind im Be- 
griff, ebenfalls ein solches Gesetz zu erlassen; sie erkennen hierdurch an, daß Deutschland 
auch auf diesem Gebiet bahnbrechend vorangegangen ist. 
  
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