Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
330 Handwerk. VI. Buch. 
  
Erhebung über Verhältnisse Von Bedeutung für die weiteren Regierungemaß- 
nahmen war das Ergebnis der 1895 vom Kaiser- 
lichen Statistischen Amt veranstalteten „Erhebung 
über Verhältnisse im Handwerk“, die sich als eine Stichprobe auf etwa den 22. Teil 
der Einwohnerzahl des Deutschen Reiches erstreckte und 70 handwerksmäßige Gewerbe- 
arten umfaßte. Die vom Verein für Sozialpolitik vorgenommenen Untersuchungen über 
die Lage des deutschen Handwerks ergänzten das gewonnene Material. Es ergab sich, daß 
die Novelle von 1881 und ihre Ergänzungen in den 80 er Jahren die an sie geknüpften 
Hoffnungen über die Wiederbelebung der Innungen nicht erfüllt hatten. Die Zahl der In- 
nungemitglieder war verhältnismäßig gering geblieben; im Jahre 1890 war vielleicht der 
vierte Teil aller Handwerksmeister in Innungen organisiert, in Leipzig z. B. standen 
von 845 Schuhmachern 611 außerhalb der Innung. Das Innungsleben selbst zeigte große 
Gleichgültigkeit der Mitglieder, und für die eigentlichen Zwecke der Innung geschah 
nur wenig. Von einer Breslauer Fleischerinnung wird berichtet, daß sie 30 Mark für 
Unterrichtszwecke, dagegen 3600 Mark als Gehälter für den Vorstand ausgeworfen hatte; 
von 314 Innungen in Schleswig - Holstein hatten 14 überhaupt keine Auslagen für 
Innungszwecke aufzuweisen. „Sämtliche Innungemeister, der Obermeister an der 
Spitze,“ heißt es in einem Bericht, „sind darüber einig, daß der einzige Zweck der Innung 
heute noch der sei, einmal im Jahr zusammenzukommen und das aus den Beiträgen 
angesammelte Geld vergnügt zu vertrinken.“ Es mag ja vielfach die Mittellosigkeit der 
Innungen ihre Tätigkeit gelähmt haben; aber auch dort, wo genügend Mittel vorhanden 
waren, ist von einer regen Wirksamkeit wenig zu spüren. 
Oie statistische Erhebung ergab schätzungsweise eine Gesamtzahl von etwa 1 311.000 
Handwerkern im ganzen Reiche, wovon etwa 728 700 allein arbeitetten und 582 300 
Personal beschäftigten. In den Städten hat sich die Zahl der Meister relativ stark ver- 
mindert, dagegen die Zahl ihrer Gehilfen vermehrt. Auf dem Lande ist die Zahl der 
Handwerker erheblich gewachsen. Während die Meister mit Personal fast alle in den 
größeren Gemeinden wohnen, werden die Bedürfnisse des platten Landes und der 
kleineren Ortschaften an handwerksmäßigen Leistungen durchweg von Meistern, die 
allein oder ausnahmsweise mit geringem Personal arbeiten, und von den größeren Ort- 
schaften aus befriedigt. 
  
im Handwerk. 
  
Genauere Zahlenbilder bietet die Berufs- 
und Gewerbestatistik für das ganze Reich 
vom Fahre 1895. Vergleichen wir ihre Ergebnisse mit der vorherigen von 1882, so er- 
gibt sich folgendes Bild: Bei 25 von 49 Handwerken, die ausgesprochen als Handwerk 
zu gelten haben, wurde eine Abnahme der Betriebe gegenüber 1882 festgestellt, 
und zwar um 267 919. Sie betraf in erster Linie die Alleinbetriebe, und zwar 
in den hauseindustriellen Industriezweigen. Sehen wir von diesen ab, so bleibt noch 
eine Abnahme von 75 792 Betrieben, die sich auf 19 Handwerke verteilen. Dabei ist 
zu beachten, daß in den meisten dieser 19 Handwerke die Zahl der beschäftigten Personen 
zugenommen hat, also eine Vergrößerung und Kräftigung der einzelnen Betriebe ein- 
Berufs- und Gewerbestatistik. 
  
778
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.