Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Handwerk. 333 
  
versicherungsordnung von 1911. Die Innungesschiedsgerichte, aus der Innungsgesetz- 
gebung der 80er Jahre hervorgegangen, wurden in ihrer Zuständigkeit erweitert; die 
Anberaumung des ersten Termins soll innerhalb acht Tagen nach Eingang der Klage 
erfolgen und die Entscheidung nach Möglichkeit beschleunigt werden. Die Aufgabe jeder 
Innung, die Einrichtung ihrer Berwaltung und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder 
sind, soweit das Gesetz nicht barüber bestimmt, durch das Innungsstatut zu regeln. Die 
Angelegenheiten der Innung werden von der Innungsversammlung und dem Vorstande 
wahrgenommen; zur Wahrnehmung einzelner Angelegenheiten können Ausschüsse ge- 
bildet werden. Die Innungen unterliegen der Aufsicht der unteren Verwaltungsbehörde. 
Eine freie Znnung kann unter bestimmten Voraussetzungen durch behördliche Anordnung 
geschlossen werden, auch kann eine Auflösung auf freiwilligen Entschluß der Mitglieder 
erfolgen. 
Die Zwangsinnungen haben im allgemeinen 
dieselbe Aufgabe wie die freien Innungen. Ihre 
Eigenschaft als Zwangsorganisation und ihr mehr hervortretender öffentlich-rechtlicher 
Charakter machen indessen einzelne wesentliche Unterschiede zwischen ihnen und den 
freien Innungen notwendig. So können Zwangeinnungen nur für sämtliche Gewerbe- 
treibende innerhalb eines bestimmten Bezirks, die das gleiche Handwerk oder ver- 
wandte Handwerke (z. B. Bäcker und Konditor) ausüben, errichtet werden (Fach- 
innung), freie Innungen aber für gleiche Gewerbe (freie Fachinnung) und für ver- 
schiedene Gewerbe (freie gemischte Innung). Ferner dürfen die Mitglieder der 
Zwangsinnung im Gegensatz zu denen der freien Innungen nicht gegen ihren Willen 
zur Teilnahme an anderen Unterstützungskassen als Innungskrankenkassen verpflichtet 
werden, die Zwangsinnung darf keine gemeinsamen Geschäftsbetriebe errichten, auch 
ihre Mitglieder in der Festsetzung der Preise ihrer Waren oder Leistungen oder in der 
Annahme von Kunden nicht beschränken, was der freien Innung gestattet ist. Dagegen 
ist die Zwangsinnung berechtigt, Veranstaltungen zur Förderung der gemeinsamen 
gewerblichen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder, wie die Errichtung von 
Vorschußkassen, gemeinsamen Ein- und Verkaufsgeschäften u. dgl. anzuregen, auch durch 
Aufwendungen aus dem gesammelten Vermögen zu unterstützen; Beiträge dürfen aber 
zu diesem Zweck nicht erhoben werden. Die Errichtung einer Zwangsinnung kann durch 
die höhere Verwaltungsbehörde erfolgen auf Antrag Beteiligter, wenn: 1. die Mehr- 
beit der beteiligten Gewerbetreibenden der Einführung des Beitrittszwanges zustimmt; 
2. der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, daß kein Mitglied durch die Entfernung 
seines Wohnortes vom Sitze der Innung behindert wird, am Genossenschaftsleben teil- 
zunehmen und die Innungseinrichtungen zu benutzen; und 3. die Zahl der im Bezirke 
vorhandenen beteiligten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung aus- 
reicht. Nach Erlaß der Anordnung sind die für die gleichen Gewerbszweige bestehenden 
freien Znnungen des Bezirks zu schließen. Als Mitglieder gehören der Zwangsinnung 
alle die Handwerker an, die das Gewerbe, wofür die Innung errichtet ist, als stehendes 
Gewerbe selbständig betreiben. Ausgenommen sind die, die das Gewerbe fabrikmäßig 
Die Zwangeinnungen. 
  
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