Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Handwerk. 335 
  
Auch die obligatorischen Gesellenausschüsse, die schon in der Novelle von 
1881 fakultativ vorgesehen waren, sind neu. Danach haben die bei den Innungemit- 
gliedern beschäftigten volljährigen Gesellen an der Erfüllung der Aufgaben der Innung 
und an ihrer Verwaltung teilzunehmen, soweit dies durch Gesetg oder Statut bestimmt 
ist. Sie wählen zu diesem Zwecke den Gesellenausschuß, der bei der NRegelung des Lehr- 
lingswesens und bei der Gesellenprüfung, sowie bei der Begründung und Verwaltung 
aller Einrichtungen zu beteiligen ist, für die die Gesellen Beiträge entrichten oder eine 
besondere Mühewaltung übernehmen, oder die zu ihrer Unterstützung bestimmt sind. 
Snnungsausschüsse und Ferner befaßt sich das Gesetz mit den schon durch die No- 
Innungsverbände. velle von 1881 eingerichteten Onnungsausschüssen, deren 
Befugnisse erweitert, und den Innungsverbänden, deren 
Aufgaben ziemlich unverändert aufrecht erhalten werden. Für alle oder mehrere 
derselben Aufsichtsbehörde unterstehende Innungen aller Art kann ein gemein- 
samer Innungsausschuß gebildet werden. Diesem liegt die Vertretung der gemein- 
samen lokalen Interessen der beteiligten Innungen ob; außerdem können ihm alle Rechte 
und Pflichten der beteiligten Innungen übertragen werden, und es ist ihm auch die 
bedeutsame Erwerbung der Rechtsfähigkeit ermöglicht. — Innungen, sowohl freie als 
Zwangeinnungen, die nicht derselben Aufsichtsbehörde unterstehen, können zu In- 
nungsverbänden zusammentreten. Sie haben die Aufgabe, zur Wahrnehmung 
der Interessen der in ihnen vertretenen Gewerbe die Innungen, Innungsausschüsse 
und Handwerkskammern in der Verfolgung ihrer gesetzlichen Aufgaben, sowie die Be- 
hörden durch Vorschläge und Anregungen zu unterstützen. Sie bestehen also neben den 
Handwerkskammern und sollen im Gegensatz zu den Innungsausschüssen die weiteren 
Interessen der Innungen, die über die lokalen hinausgehen, vertreten. 
  
  
Handwerkskammern. Die wichtigste Neueinrichtung des Dandwerkerge- 
setzes sind die 9andwerkskammern; manbezeichnet sie 
wohl als die Krone der neuen Handwerkergesetzgebung. Sie haben einen öffentlich-recht- 
lichen und behördenartigen#) Charakter und sind die berufenen Organe zur wirksamen Inter- 
essenvertretung des Handwerks; ihnen sind sowohl die Innungen als auch jeder außer der 
Innung stehende Handwerker unterstellt. Ihre Errichtung ist eine verpflichtende, da es im 
Sinne des Gesetzes liegt, daß jeder Teil des Keichsgebiets zum Bezirke einer Handwerks- 
kammer (in Sachsen und den freien Städten Gewerbekammern genannt) gehört. Die Hand- 
werkskammern sollen einmal die Gesamtinteressen der in ihrem Bezirke vorhandenen Hand- 
werke gegenüber der Gesetzgebung und der Verwaltung des Staates vertreten, zum andern 
aberiauchals Selbstverwaltungsorgane wichtige Aufgaben eerfüllen. Insbesondereliegtihnen 
ob: 1. die nähere Regelung des Lehrlingswesens; 2. die Durchführung der für das Lehr- 
lingswesen geltenden Vorschriften zu überwachen; 3. die Staats- und Gemeindebehörden 
in der Förderung des Handwerks durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung von 
1) Ein neuerer Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe erkennt die Handwerke- 
kammern an als öffentliche Behörden. 
  
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