Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
. Handwerk. VI. Such. 
  
dem Handwerke entzogen werden (so hat z. B. der Schlosser die Herstellung des Schlosses 
abgeben müssen); oft zieht die Fabrik auch nur die Anfangsstadien der Herstellung an sich, 
so bezieht z. B. der Schmied die fertigen Hufeisen, der Bauschreiner die zugeschnittenen 
Parkettböden, auch das Aufkommen neuer Rohstoffe und Produktionsmethoden legt 
das Handwerk für einen Teil seines Herstellungsgebietes lahm, z. B. das Eindringen 
der Guttapercha in das Verbrauchsgebiet von Leder und Leinwand, die Drahtseilfabri- 
kation im Gegensatz zur Hanfseilerei. 3. Angliederung des Handwerks an die Groß- 
unternehmung, wodurch es seine Selbständigkeit einbüßt (der große Fabrikbetrieb hat 
eine eigene Schlosser- und Reparaturwerkstätte, die große Brauerei oder Weinhandlung 
ihre Böttcherwerkstätte). 4. Verarmung des Handwerks durch Bedarfsverschiebung 
oder durch Aufhören des Bedarfs; so werden durch die großen Umwälzungen auf dem 
Gebiete des Reiseverkehrs die Sattler und Kürschner berührt, zinnerne Teller und Schüsseln 
sind zum Schaden für die Zinngießer nicht mehr in Mode. ö. Herabdrückung des Hand- 
werks zur Heim- und Schwitzarbeit durch das Magazin. Hier kommt das Handwerk in 
völlige Abhängigkeit vom Handel, indem seine Erzeugnisse nur noch durch den Verkauf 
in den Läden abgesetzt werden können. Das Publikum neigt immer mehr dazu, dort zu 
kaufen, wo sich größere Auswahl findet und es rasch mit allen Bedarfsartikeln versorgt 
wird; so läßt es den Handwerker in seiner Werkstatt im Dachgeschoß oder Hinterhause 
unbeachtet. „In allen Fällen,“ sagt Bücher, „wo das Handwerk gebrauchsfertige, raschem 
Verderben nicht ausgesetzte Ware liefert, die in bestimmten Topen für Ourchschnitts- 
bedürfnisse hergestellt werden kann, ist es in höchstem Maße gefährdet.“ 
Gegen die genannten Umbildungs- und 
Aufsaugungsprozesse ist sowohl der einzelne 
Handwerker als die Organisation im allgemeinen machtlos. Trotzdem wird sich das alte 
Handwerk in einer Menge von mittleren und Kleinbetrieben erhalten. Es gibt Handwerke, 
die nur ohne Maschinen oder wenn auch mit einigen Maschinen, so doch nur im kleinen be- 
trieben werden können. Es gibt ferner Handwerke, bei denen ein mittlerer Betrieb der na- 
türliche ist, die sich also zum Großbetrieb nicht eignen. Andere Gewerbe können gleich 
vorteilhaft in der Form des Handwerks und der Fabrik ausgeübt werden. Es gibt 
endlich Handwerke, deren Erfolg auf der durch keine Maschine zu ersetzenden Kunst- 
fertigkeit der menschlichen Hand beruht. Besonders auf dem Lande, das heute 
mehr als die Hälfte der Handwerksmeister zählt, liegen die Verhältnisse für das Hand- 
werk günstig, da sich hier die geschilderten Ursachen der Zurückdrängung teilweise 
nur in abgeschwächtem Maße geltend machen; hier herrscht noch die Kundenpro-- 
duktion vor. IZndessen werden auch die Städte immer noch eine Reihe von Eiistenz- 
möglichkeiten für das Handwerk offen halten, obwohl hier der Wettkampf mit der Fabrik 
weit schwerer ist; besonders in den Großstädten bringt die rasche Neugestaltung des ge- 
werblichen Lebens mancherlei Arbeitsgelegenheiten, wie für das Baugewerbe, für In- 
stallation und für größere Reparaturen aller Art. Zu beachten ist auch, daß in den Städten 
der gewandte Meister sich gerade durch die Gewerbefreiheit leichter zum Unternehmer 
emporschwingen kann. Der Volkswirtschaftler Dr. Böhmert hat jüngst das Resultat 
Lebenskraft des Handwerks. 
  
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