VI. Buch. Die Arbeiter-Sozialpolitik. 381
Die internationale Arbeiterschutzkonferenz hat zunächst eine Wiederholung in der damaligen Form
— als offizielle Vertretung der verschiedenen Staaten — nicht gefunden. Sie hatte als solche zu-
nächst auch ihren Zweck erfüllt. Dagegen fand sie ihre Fortsetzung in freien Konferenzen derjenigen Kreise,
die sich für die Bestrebungen des Arbeiterschutzes besonders interessierten und sich bald zum Zwecke einer wirk-
sameren Propaganda in den einzelnen Ländern zusammenschlossen. So tagte 1897 eine solche Konferenz
in Zürich und in Brüssel. Auf letzterer wurde die Bildung einer dauernden „Internationalen Vereini-
gung für gesetzlichen Arbeiterschutz“ in Aussicht genommen und ein provisorisches Komitee unter Vor-
sitz des früheren Handelsministers Freiherrn von Berlepsch gebildet. Auf der folgenden Konferenz in Paris
(1900), unter dem Vorsitz des früheren französischen Ministers Millerand, trat dann diese Vereinigung ins
Leben. Sie erhielt 1901 eine festere Gestaltung durch die Errichtung eines internationalen Arbeits-
amtes (unter Leitung des Professor Dr. Bauer) in Basel, mit der Aufgabe, das Material betreffend die Arbei-
terschutzgesetzgebung in den einzelnen Ländern zu sammeln und periodisch zu veröffentlichen und die regel-
mäßigen Kongresse vorzubereiten. Zn den einzelnen Ländern wurden Landessektionen gegründet, resp.
bereits bestehende Vereine (z. B. die in Deutschland schon vom Freiherrn von Berlepsch gegründete „Ge-
sellschaft für soziale Reform') als solche errichtet. In erster Linie wurden Untersuchungen über „Ge-
sundheitsgefährliche Industrien“, insbesondere die Zündhölzchenindustrie und die Erzeugung und Verwen-
dung von Bleifarben, angestellt. (Herausgegeben vom Direktor Dr. Bauer, Basel 1903.) Dann folgten Berichte
über die „gewerbliche Nachtarbeit der Frauen“ (1904); ferner „die Bekämpfung der Bleigefahr in der In-
dustrie“" (von Gewerberat Dr. Lepmann, 1908) und „Bekämpfung der Bleigefahr in Bleihütten“ (von Dr.-Ing.
Rich. Müller, 1908). Im Jahre 1912 erschien: „Liste der gewerblichen Gifte und anderer gesundheitsschäd-
licher Stoffe, die in der Zndustrie Verwendung finden“ (von Professor Dr. Sommerfeld und Gewerberat
Dr. R. Fischer). Außerdem sind die Arbeitsverhältnisse in der Großeisenindufstrie eingehender Erörterung
unterstellt. Das „Bulletin des internationalen Arbeitsamtes“ (bis heute 12 Bände, monatlich erscheinend)
unterrichtet sorgsam und eingehend über die Fortschritte der Arbeiterschutzbestrebungen in allen Ländern.
Im allgemeinen tagen die Konferenzen alle zwei Jahre: 1902 in Köln, 1904 in Basel, 1906 in Genf, 1908
in Luzern, 1912 in Lugano. Besonders erfreulich war, daß auch die Regierungen, in stetig steigendem Maße,
Vertreter zur Teilnahme an den Beratungen entsendeten, die diese mit ihrem sachkundigen Rat wirksam
förderten, wenn auch nur als private Teilnehmer. Noch erfreulicher war es, daß 1905 auf Einladung der
Schweiz eine Reihe von Staaten offiziell in der Konferenz zu Bern sich zusammenfanden, deren Beratungen
zu einem gemeinsamen Abkommen vom 26. September 1906 führten mit dem Ziele: 1. Verbot der
Nachtarbeit weiblicher Personen in allen gewerblichen Betrieben mit 10 oder mehr Arbeitern und
Bemessung dieser Ruhezeit auf mindestens 11 Stunden; 2. Verbot der Verwendung von weißem Ppos-
phor in der Zündhölzchenindustrie (in Deutschland schon 1903 eingeführt). Der ersteren wichtigen Verein-
barung haben sich fast alle maßgebenden Staaten: Deutschland, Osterreich-Ungarn, Belgien, Dänemark,
Spanien, Frankreich, England, Italien, Luxemburg, Holland, Portugal, Schweden und Norwegen und
die Schweiz angeschlossen. Diese Vereinbarung beweist, daß bei gutem Willen auch direkte Verständigung
und gegenseitige Verpflichtung auf bestimmte Minimalforderungen des Arbeiterschutzes recht
wohl möglich sind. Auf Grund dieser günstigen Erfahrungen hat die Schweiz zum 15. September 1913
eine neue Konferenz berufen. Oiese hat sich auf folgende Ziele geeinigt: 1. Verbot der Nachtarbeit
für Kinder absolut, für junge Leute (bis zum 16. Lebensjahre) mit Ausnahmen; 2. Beschränkung der
Arbeitszeit für junge Leute und für Arbeiterinnen (ohne Beschränkung des Lebensalters) auf
böchstens zehn Stunden täglich resp. 60 Stunden wöchentlich. Die Nachtruhe soll mindestens elf Stunden
betragen. Die Schweiz ist beauftragt, für 1914 die Konferenzstaaten zum Abschluß einer betreffenden
Konvention zu berufen. — Außerdem hat die internationale Vereinigung für den gesetzlichen Arbeiterschutz
die Einsetzung einer internationalen Kommission zur Beratung von Grundsätzen für eine periodische
Berichterstattung über die Durchführung der Arbeiterschutzgesetze angeregt, die ebenfalls vom Schweizer
Bundesrat für den 11. September nach Bern einberufen ist. — In der Linie internationaler Verständigung
liegt auch die Arbeiterschutz-Konvention, welche zwischen Frankreich und Italien (d. d. 15. 4. 1904) abge-
schlossen worden ist (Reichsarbeitsblatt 1904).
So hat sich der Gedanke internationaler Verständigung als lebensfähig und fruchtbar bewährt. Er
hat seine Werbekraft auch auf das Gebiet der Arbeiterversicherung ausgedehnt. Der hochverdiente erste Präsi-
dent des Reichsversicherungsamtes, Dr. Boediker, kann mit Recht als der Schöpfer der internationalen Arbei-
terversicherungskongresse bezeichnet werden, auf denen er mit großem Erfolg die Grundgedanken der deut-
schen Arbeiterversicherung zur Anerkennung gebracht hat. Der erste Kongreß fand 1889 in Paris statt, dem
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