Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
386 · Die Arbeiter-Sozialpolitik. VI. Buch. 
  
Von den 306 823 industriell beschäftigten Kindern waren fast 83% in solchen Gewerbszweigen tätig, 
in denen die Hausindustrie und damit die Beschäftigung eigner Kinder besonders stark vertreten ist. Alle 
Erfahrungen früherer und neuester Zeit bestätigen aber, daß hier gerade die Mißstände am schlimmsten sind. 
Der Weg, der im Kinderschutzgesetz begonnen wurde, fand 
seine Fortsetzung in dem Hausarbeiter-Schutzgesetz 
vom 20. Dezember 1911. Es war die Frucht der Heimarbeiter-Ausstellungen 
in den Jahren 1904 und 1906, zunächst in Berlin, dann in Frankfurt a. M. 
und anderen Städten. Sie enthüllten das ganze Elend in der Hausindustrie, ins- 
besondere bezüglich Arbeitszeit und Löhne, und verfehlten nicht eines tiefen Ein- 
druckes in weitesten Kreisen. A#uch die deutsche Kaiserin zeichnete die Ausstellung 
durch ihren hohen Besuch aus und schenkte derselben ihre besondere huldvolle Teilnahme. 
Im Reichstage fanden sich alle großen bürgerlichen Parteien zu einem gemeinsamen 
Antrage an die verbündeten Regierungen zusammen, in dem die Grundlinien einer 
gesetzlichen Regelung niedergelegt waren. Es galt, die Schutzbestimmungen, welche für 
die Beschäftigung in Fabriken und Werkstätten erlassen waren, in entsprechender Weise 
auch auf die Personen auszudehnen, welche allein oder ausschließlich im Familienkreis 
(ohne daß ein Arbeitsvertrag vorliegt) für ein Geschäft arbeiten. So sehr das Bedürfnis 
schon immer anerkannt war, so groß erschienen die Schwierigkeiten. Neben den prin- 
zipiellen Bedenken eines Eindringens in die Familienverhältnisse hatten vor allem die 
Schwierigkeiten einer wirksamen Kontrolle der Durchführung zurückgeschreckt. So be- 
schränkt sich denn auch das Gesetz wesentlich darauf, den Behörden: Bundesrat, Landes- 
zentralbehörden, Polizeibehörden, das Recht und die Pflicht zum Erlaß von Verord- 
nungen zum Schutze der Gesundbeit, der Sittlichkeit und einer gerechteren Gestaltung 
des A#rbeitsvertrages (Sonntagsruhe, Beschränkung der Arbeitszeit, Verbot der Nacht- 
arbeit, hygienische Einrichtung der Arbeitsstätte, Vorschriften bezüglich Llushang der 
Löhne, Lohnlisten, Abrechnung usw.) zu3zuweisen, um so tunlichst eine Anpassung an die 
besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse zu ermöglichen. Angesichts der kärglichen Löhne 
und des Mangels ausreichender gewerkschaftlicher Organisationen drängte sich vor allem 
eine Regelung der Lohnfrage — Festsetzung von Minimallöhnen — als dringlichstes 
Problem auf, aber in Hervorhebung der großen prinzipiellen Bedenken und praktischen 
Schwierigkeiten jeder staatlichen Lohnregulierung lehnten die verbündeten Regierungen 
jede Ermöglichung behördlicher rechtsverbindlicher Lohnfestsetzung ab. Nur insofern wurde 
den bezüglichen dringenden Dünschen entgegengekommen, daß die Bildung von „Fach- 
ausschüssen“ aus #Arbeitgebern und Arbeitern unter einem obrigkeitlichen Vorsitzenden 
zur Förderung des Abschlusses von Lohntarifverträgen ermöglicht ist. 
Hausarbeiterschutz. 
  
Erweiterung des Arbeiterschutzes Herallgemeine Arbeiterschutz erfuhr eine 
1908 u. 1911. erfreuliche Erweiterung durch die Ge- 
werbeordnungs-Novelle vom 28. Dezember 
1908. Zunächst wurde der Geltungsbereich der Bestimmungen zum Schut der jugend- 
lichen und weiblichen Arbeiter auf alle Betriebe mit zehn Arbeitern und mehr 
ausgedehnt. Dann wurde der Schutz der Arbeiterinnen durch Einführung des Zehn- 
  
  
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