Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
392 Die Arbeiter-Sozlalpolitik. VI. Buch. 
  
Bei der weitgehenden Spezlalisierung der Betriebseinrichtungen und Maschinen, dem raschen Wechsel 
und den gewaltigen Fortschritten der Technik und der Produktionsmethoden hat sich der Weg der Verord- 
nungen und allgemeiner Vorschriften vielfach als zu schwerfällig und schablonenhaft erwiesen. Wirksamer 
und in zweckmäßigerer Anpassung kann die Gewerbeaufsicht eingreifen, und zwar in doppelter Weise. 
Einmal können die Gewerbeinspektionen in jedem Betriebe bestimmte Anordnungen oder Einrichtungen 
zum Schutz der Arbeiter in gesundheitlichem oder sittlichem Interesse vorschreiben (resp. bei der Oberpolizei- 
behörde beantragen); dann können sie insbesondere bei den Gewerbebetrieben, die einer besonderen Ge- 
nehmigung bedürfen (5 16), die Aufnahme entsprechender Anforderungen in die Genehmigungsbedingungen 
beantragen. 
Oie vereinigten spstematischen Bemühungen der Konzessionsbehörden, der Gewerbeaufsichtsbeamten 
und der Unfallversicherungs-Berufsgenossenschaften und ihrer Beauftragten haben denn auch zu einer wesent- 
lichen Verbesserung der Einrichtungen und der Betriebsverhältnisse der modernen Fabriken und Werkstätten 
geführt. Sie haben neuen Anschauungen Bahn gebrochen. Die Arbeitgeber haben sich immer mehr überzeugt, 
daß Hohe, gut ventilierte, hygienisch wohl eingerichtete, möglichst staubfreie Arbeitsräume, sicher eingefriedigte, 
mit selbsttätig wirkenden Schutzeinrichtungen versehene Maschinen, sorgsame Ordnung und Reinlichkeit, gute 
Beleuchtung und Heizung usw. auch die Leistungsfähigkeit und Freudigkeit der Arbeiter heben und damit 
auch der Unternehmung zugute kommen. So zeichnen sich die modernen Betriebe sehr vorteilhaft gegenüber 
solchen alter Zeit aus. Tüchtige und weitschauende Unternehmer ergänzen die behördlichen Anordnungen 
durch Einrichtungen und Anstalten freiwilliger Wohlfahrtspflege: Bade-, Wasch- und Umkleideeinrichtungen, 
Eß- und Aufenthaltsräume, Menagen und Wärmevorrichtungen, Verabreichung alkoholfreier Getränke 
(Kaffee usw.), Gartenanlagen Einrichtungen zur ersten Hilfeleistung, Kinderkrippen und Kinderbewahr- 
anstalten zur Entlastung der Mütter, Veranstaltungen zur Pflege der Erholung und Bildung: Spiel- und 
Turnplätze, Lesesäle, Bibliotheken usw. 
Dieselben Behörden: der Bundesrat, die Landes- Zentralbehörden und die 
Polizeibehörden haben auch das Recht, für solche Gewerbe, in welchen durch 
übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter 
gefährdet wird, Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit 
und der zu gewährenden Pausen zu regeln („Sanitärer Mazimalarbeitstag“). 
Dem Bundeerat ist dieses Recht durch die Arbeiterschutz-Novelle von 1891 gewährt worden. Er hat auch 
für eine Reihe von Betrieben von diesem Recht Gebrauch gemacht, sei es in Form einer Minimalruhezeit 
(z. B. für Bäckereien, Getreidemühlen, Gast- und Schankwirtschaften), sei es durch Regelung der Arbeitszeit- 
(z. B. für Steinbrüche und Steinhauereien, Herstellung von Akkumulatoren, Bulkanisierung von Gummi- 
waren). ODurch die Novelle von 1911 ist dann dieses Recht auch den Landeszentral- und Polizeibehörden über- 
tragen worden, soweit nicht der Bundesrat schon eine Regelung getroffen hat (s 120 f). Damit soll den Miß- 
bräuchen übermäßiger Arbeitszeiten, soweit sich solche in einzelnen Bezirken oder Betrieben herausstellen, 
gesteuert werden (z. B. in Fleischereien). 
Ein allgemeiner gesetzlicher Mazimalarbeitstag für erwachsene Männer, wie in der Schweiz 
und Osterreich, besteht in Deutschland nicht. Die Beschränkung der Arbeitszeit für jugendliche und weibliche 
Arbeiter auf 10 Stunden ist jedoch indirekt auch den Männern zugute gekommen, indem gerade die Fabriken, 
welche jugendliche und weibliche Arbeiter in großer Zahl beschäftigen, wegen der verhältnismäßigen Leichtig- 
keit der Arbeiten die kürzeste Arbeitszeit aufweiseen und eine Beschäftigung der Männer allein über die gesetz- 
lichen 10 Stunden Zeit hinaus sich nicht lohnt. Dazu kommt, daß in den Indufstrien, die hauptsächlich Männer# 
beschäftigen, durchschnittlich mit 10 Stunden die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht ist und die gewerk- 
schaftlichen Organisationen der Männer heute auch so weit erstarkt sind, daß sie die Arbeitszeit mit- 
bestimmen. 
Die Betriebsstätten-Schutzbestimmungen 
und der sanitäre Maximalarbeitstag 
finden ebenso wie die Vorschriften be- 
züglich der Sonntagsruhe auf alle ge- 
werblichen Betriebe, ob groß oder klein, Anwendung. Dagegen galten die Vorschriften 
Ausdehnung der Schutzbestimmungen 
auf Werkstätten, Heimarbeiter und 
Handelsgewerbe. 
  
  
  
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