Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
48 Die landwirtschaftlichen technischen Gewerbe. VI. Buch. 
  
andererseits aber können sich hieraus auch Schwierigkeiten entwickeln, sofern entweder 
ungünstige Futter- oder Ernteverhältnisse die landwirtschaftlichen Rohstoffe an Menge 
oder Beschaffenheit verringern und daher verteuern oder aber technische oder wirtschaft- 
liche Schwierigkeiten den Absatz der in den landwirtschaftlichen Gewerbebetrieben fertig 
gestellten Erzeugnisse erschweren. Die Landwirtschaft und die landwirtschaftlichen 
Gewerbe sind also beide eng auf einander angewiesen, in guten wie in schlechten Zeiten. 
Außerdem greift aber auch die Nahrungsmittelgesetzgebung sowie die Steuergesetz 
gebung unmittelbar in die landwirtschaftlichen Gewerbe ein. Denn die Erzeugnisse der 
Molkereien, nämlich Milch, Butter, Käse, ferner der Kübenzucker, die Kartoffelstärke und 
der Stärkezucker, auch die Kartoffelflocken, die Trinkbranntweine und das Bier sind wich- 
tige Nahrungs- oder Genußmittel und daher den Bestimmungen des Nahrungemittel- 
gesetzes unterworfen. Der Rübenzucker, der Branntwein und das Bier aber sind seit alter 
Zeit Gegenstände der Besteuerung und daher den geltenden Steuergesetzen unterworfen. 
Die Entwicklung der letzten 25 Jahre ist nach allen diesen Richtungen hin von großer Be- 
deutung für die hier in Frage stehenden Gewerbe gewesen. 
Hie Molkereien. Die Erzeugnisse der Molkereien sind in erster Linie Milch, 
Butter und Käse. Die Entwicklung der Dinge in den letzten 
Jahrzehnten hat es aber mit sich gebracht, daß die Milch von ihren Erzeugungestätten 
heute nicht mehr wie früher nur als frische Milch, als Sahne oder auch als saure Milch, 
Magermilch, Buttermilch oder auch nach Abscheidung des Fettes und des Käsestoffs als 
Molken abgegeben wird. Bielmehr beschäftigen die Molkereien sich heute auch mit der 
Herstellung und Abgabe von Milch, die durch Erhitzen auf bestimmte Wärmegrade halt- 
bar gemacht ist und dann als pasteurisierte, sterilisierte oder Dauermilch abge- 
geben wird. Oder sie nehmen mit der Milch auch gewisse Beränderungen vor, die im wesent- 
lichen darauf abzielen, die Kuhmilch der Frauenmilch ähnlicher und damit auch diese 
Milch zur Ernährung der Säuglinge geeigneter zu machen. Die so behandelten oder 
unter besonderer Vorsicht gewonnenen Milchsorten kommen als Kindermilch oder Vorzugs- 
milch oder unter anderen Bezeichnungen in den Berkehr. Ferner befassen die Molkereien 
sich neuerdings vielfach auch mit der Herstellung gegorener Milchgetränke, die dann 
als Kefir oder Joghurt oder auch unter anderen Bezeichnungen abgegeben werden. 
A#uch die Herstellung eingedickter (kondensierter) Milch, von Trocken milch oder von 
Milchpulver geschieht heute in größerem Umfange als noch vor wenigen Jahrzehnten. 
Endlich gewinnen manche Molkereien auch noch alsletztes Erzeugnis den Milch zucker. Diese 
große Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse erklärt es ohne weiteres, daß der ganze Betrieb 
solcher Molkereien heute völlig anders ist als früher. Die Molkereien befinden sich augen- 
blicklich in einem Ubergang zu Betrieben, die ohne sachverständige Leitung durch 
chemische und bakteriologische Fachmänner nicht mehr geführt werden können. Es 
wird daher über kurz oder lang die Zeit kommen, wo die Molkereien aufhören werden 
in dem ursprünglichen Sinne noch landwirtschaftliche Gewerbsanstalten zu sein und wo 
sie vielmehr mit größerem Recht den rein gewerblichen Anstalten zugerechnet werden 
müssen. 
  
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