0 Eisenbahnen, Straßen- unb Lustverkehr, Post und Telegraph. VII. Buch.
Sie schuf neben dem Haupt- und Nebenbahnnet ein drittes Netz von Bahnen, das unter
der Bezeichnung Kleinbahnen die Bahnen niederster Ordnung umfaßt. Das Kleinbahn-
gesetz vom 28. Juli 1892 versteht unter Kleinbahnen Eisenbahnen, die vornehmlich den
örtlichen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarter Semeindebezirke
vermitteln. Die beiden wichtigsten Gattungen der Kleinbahnen sind die städtischen Schnell-
und Straßenbahnen und die sogenannten nebenbahnähnlichen Kleinbahnen. Die städti-
schen Verkehrsmittel sollen in einem besonderen Abschnitt betrachtet werden. Oie neben-
bahnähnlichen Kleinbahnen verbinden die abgelegenen Gebietsteile mit dem nächsten
Absatzmarkt und mit den Haupt- und ANebenbahnen des Landes. Sie werden bei Er-
füllung der im Gesetze vorgeschriebenen Bedingungen zur Ausführung im Wege des Pri-
vatunternehmens genehmigt und gegebenenfalls durch staatliche Beihilfen aus be-
sonderen Fonds unterstützt. Voraussetzung für bie staatliche Beihilse ist eine ange-
messene Beteiligung der böheren Kommunalverbände und der Znteressenten. Die staatliche
Beihilfe wird meist in gleicher Höhe wie die Beteillgung der Provinz bemessen und
erfolgt in der Regel durch Eintritt des Staates in die Gesellschaft.
Das preußische Kleinbahngesetz ist für die Regelung des Kleinbahnwesens in anderen
deutschen Bundesstaaten (insbesondere Baden, Mecklenburg, Olbenburg, Vamburg) und
auch in außerdeutschen Ländern vorbildlich geworden.
Unter der Herrschaft des Gesetzes hat sich das Kleinbahmwesen in Preußen rasch ent-
wickelt. Der preußische Staat hat bis zum 1. April 1912 insgesamt 109 Millionen Mark
an staatlichen Beihilfen für Kleinbahnen aufgewendet. Im ganzen gab es zu diesem
Zeitpunkt in Deutschland rund 10 000 km nebenbahnähnliche Kleinbahnen mit einem
Anlagekapital von über 700 Millionen Mark.
Dasgesamte deutsche Neben- unk Kleinbahnnetz hat sich von 1888—1911 von 9900 auf
35600 km vermehrt und damit an Länge das Hauptbahnnetz mit 34 300 km bereits Üüberholt.
Es ist in den Entwicklungsgesetzen des modernen Verkehrs begründet, daß sich die
Eisenbahnen durch eine stets fortschreitende Differenzierung immer enger den viel-
gestaltigen Verhältnissen und Bedürfnissen unseres Wirtschaftslebens anpassen, und es
ist ein unbestreitbares Verdienst der preußischen Verkehrspolitik, daß sie diese Tendenz
fortschreitender Arbeitsteilung in unserer Volkswirtschaft richtig erkannt hat und ihr bei
der Organisation des Eisenbahnwesens praktisch entgegengekommen ist.
Reichen Segen haben die in immer engeren Maschen das Land überziehenden Neben-
und Kleinbahnen allerorten verbreitet. Die Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft
konnten zu günstigeren Preisen abgesetzt, die unausgenutzten Schätze des Bodens ge-
hoben werden. Neue Induftrien entstanden, die der Bevölkerung lohnende Beschäftigung
brachten. Zahlreiche unrentierliche Postverbindungen konnten aufgelassen, die Kosten
der Straßenunterhaltung gemindert werden, den großen Hauptlbahnlinten wurden neue
Transportmengen zugeführt.
Der Einheitsgedanke in der Die Erkennnis der überlegenen Macht der
größeren Wirtschaftseinheit führte im Zahre 1896
deutschen Eisenbahnpolitik. Hessen dazu, für seine Staatselsenbahnen eine
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