Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Staat und Kirche. 5 
  
durch apostolische Vikare hat er kein Hindernis bereitet, und allbekannt ist seine Ansicht 
über die damals die Welt bewegende Aufhebung des Jesuiten-Ordens. Aber, wie be- 
reits bemerkt, auch andere Religionsmeinungen und Religionsgesellschaften genossen 
volle Freiheit, immer nur unter der VBoraussetzung des Gehorsams gegen die Staatsgesetze. 
In den Gesetzesvorschriften des Allgemeinen Landrechtes fanden dann 
diese Grundsätze ihre monumentale rechtliche Ausprägung in einer Größe 
des Gedankens, die nicht übertroffen werden kann. „Oie Begriffe der Ein- 
wohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube und der innere Gottes- 
dienst können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen sein.“ „Jedem Einwohner im Staat 
muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreiheit gestattet werden.“ „Niemand 
soll wegen seiner Religionsmeinungen beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, verspottet 
oder gar verfolgt werden.“ „Mehrere Einwohner des Staates können sich zu Religions- 
übungen verbinden.“ 
In keinem Lande der Welt noch galten diese großen Grundsätze zu der Zeit, als Preu- 
ßeens großer König sie in seinem Staate zur Geltung brachte. Frankreich stand bis zur 
Revolution unter dem Grundsatz der Aufhebung des Edikts von Nantes (1685), und was 
Friedrich der Große seinen Landen im Frieden gab, erhielt Frankreich erst viel später 
unter Strömen vergossenen Blutes. England hat erst 1822 sich von den strengen Grund- 
sätzen des evangelischen Konfessionsstaates freigemacht, und Österreich gab erst unter 
Fosef l. den Protestanten eine ganz kümmerliche Duldung. 
VI. Durch den Wiener Kongreß erfuhren die Gebietsverhältnisse des preußischen 
Staates eine vollkommene Aeugestaltung, die dann durch die Gebietserwerbungen des 
Jahres 1866 ihren heutigen Abschluß gefunden hat. Die Verhältnisse der katholischen Kirche 
in Rheinland und Westfalen wurden neu geordnet durch die Zirkumskriptionsbulle 
De salute animarum (1821), die als Staatsgesetz verkündigt wurde; zu den 
vier östlichen Diözesen Breslau, Posen, Kulm, Ermland traten die vier westlichen Köln, 
Trier, Münster, Paderborn. Die Neuerwerbungen von 1866 fügten dazu noch die vier 
weiteren Diözesen Osnabrück, Hildesheim, Fulda, Limburg; für die beiden ersteren — 
ehemals Königreich Hannover — gilt auch nach 1866 die Zirkumstriptionsbulle Impensa 
Romanorum Pontificum, für die beiden letzteren — ehemals Teile der sog. oberrhei- 
nischen Kirchenprovinz — gelten die Bullen Provida sollersque und Ad dominici 
gregis custodiam auch unter preußischer Herrschaft fort. 
Auch der evangelischen Kirche der 1815 und 1866 neu erworbenen Länder ver- 
blieb ihre Selbständigkeit, doch wurden Rheinland und Westfalen der Behörde des 
obersten Kirchenregiments, dem evangelischen Oberkirchenrat, unterstellt, während für 
die 1866 erworbenen Gebiete — Provinzen Hannover, Hessen-Nassau und Schleswig- 
Holstein — nicht der Oberkirchenrat, sondern der Minister der geistlichen Angelegen- 
beiten die Aufgaben des landesherrlichen Summepiskopats verwaltet. 
Alle diese territorialen Bestandteile der evangelischen und katholischen Kirche in 
Preußen stehen zum Staate im Verhältnis von sog. „Landeskirchen“. Der heutige 
Begriff Landeskirche ist eine Abschwächung des alten Staatskirchentums, d. i. der 
ausschließlichen Verbindung des Staates mit einer Kirche (siehe oben l.); er umfaßt 
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