Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buq. Die evangelische Kirche und Theologie. 15 
  
heits und Friedensliebe der Pastoren in der Gemeinde untergraben wird. Immer mehr 
differenziert sich dieser Streit. Neue Parteien, Richtungen, Kampforganisationen bilden 
sich und verwickeln die Lage. 
Streit um die Heilstatsachen; Um die „Heilstatsachen“ geht der 
. Kampf und um ihre Oeutung, um die 
teien i . 
verschiedenePatemndetmtche »iungfkäulicheGeburt,Auferweckungund 
Himmelfahrt Christi, Auferstehung des Fleisches“, im Grunde um die „Gottheit Zesu 
Christi“, um die Auffassung der „übernatürlichen Offenbarung“ und der „Wunder“, Aber 
er bleibt nicht theologisch, er wird praktisch. Man kämpft um die Grenzen der Lehr- 
freiheit, den Sinn der Bekenntnisverpflichtung, die Gleichberechtigung der Richtungen. 
Uberall führt der kirchliche Kampf zu Kraftproben. Majorisierungen werden unvermeidlich. 
Die Abweichungen der Einzelnen von der Theologie der Glaubensbekenntnisse sind ver- 
schiedensten Grades. Esist unmöglich, scharfe Grenzlinien zwischen den einzelnen Richtungen 
zu ziehen. Sogar zwischen den „Positiven“ und „Liberalen“" überhaupt sind die 
Grenzen längst fließend. Zudem läßt sich nicht leugnen, daß neuerdings auf der äußersten 
Linken ein Nadikalismus hervorgetreten ist, der der monistischen Weltanschauung näher 
steht als der christlichen. IZmmer zahlreicher werden die Theologen, die auf dieser Grenz- 
linie balancieren. Sie werden zu einer Gefahr für den Bestand der Landeskirche. Denn 
ihnen gegenüber wird die Frage immer unvermeidlicher, ob das, was sie nicht bloß 
vertreten, sondern als bewußte Reformer, wenn nicht gar Reformatoren, mit Leidenschaft 
propagieren, überhaupt noch Christentum ist. 
Die Tatsache, die sich bereits vollzogen hat, ist diese: Im letzten Menschenalter hat sich 
die Glaubens- und Erkenntniseinheit, auf der die Bekenntniskirchen in ihrer historischen 
Gestalt beruhten, völlig aufgelöst. In der dadurch verursachten inneren geistigen Zerrissen- 
heit und Schwäche liegt die Erfolglosigkeit des Kampfes der Kirche gegen die allgemeine 
Unkirchlichkeit begründet. 
  
  
Auflösung der Lehreinheit. Die Auflösung der Glaubens-, Erkenntnis- 
und Lehreinheit in der evangelischen Kirche, 
also die vollzogene Aufhebung der Bekenntniskirche im altprotestantischen Sinne ist eine 
Tatsache von ungeheurer Bedeutung und Tragweite. In Kombination mit der 
anderen Tatsache der allgemeinen Entkirchlichung, bildet sie geradezu das 
Problem der evangelischen Kirchenfrage. 
Ehe wir darauf eingehen, ist die Frage zu beantworten, wie es zu dieser innerkirch- 
lichen Katastrophe gekommen ist. 
Diese Frage ist eine wesentlich theologische. 
  
Die Ursache der Krifis in der theo- Denn die Auflösung der Bekenntnis- 
einheit in der evangelischen Kirche ist in 
allererster Linie eine Folgeerscheinung der 
Entwicklung der wissenschaftlichen Theologie im 19. Jahrhundert. In den theologischen 
  
logischen Entwicklung zu suchen. 
  
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