VIII. Buch. Oie evangelische Kirche und Theologie. 21
zu erfüllen, ihren Pastoren blindlings. Wieder andere sind von dem „Laienfanatismus“
ergriffen, der die rabies theologorum noch um ein erhebliches übertrifft. Auf der an-
dern Seite werden im Namen der „Gewissensfreiheit“ und „Toleranz“ die zahlreichen
Elieder einer sonst unsichtbaren Kirche um die Fahne des Fortschritts gesammelt, um
einen merkwürdigen Typus von kirchlichem Interesse außerhalb der Kirche zu kultivieren.
Alles ungesunde und unerfreuliche Erscheinungen, kirchliche Entartungsphänomene, die
der Parteikampf erzeugt. Hier wird alles andere herrschen, als das, was die höchste
Aufgabe, die große Errungenschaft der Kultur sein sollte, die Sachlichkeit.
Verlust der Sachlichkeit. Der Verlust der Sachlichkeit im tiefsten Sinne des
Wortes, der religiösen und kirchlichen Sachlichkeit, das
ist der schwerste Schaden, den uns die kirchlichen Kämpfe eingetragen haben.
Denn die Sachlichkeit — und mit ihr die innerste Lebenskraft eines Phänomens —
geht dort verloren, wo man zwar unaufhörlich von „der Sache“ redet, um die es einem
lediglich zu tun sei; aber nichtsdestoweniger stets und geflissentlich nur eine Seite der
Sache im Auge hat, alle anderen grundsätzlich ignoriert, und dadurch das Phänomen,
dem man dienen will, völlig zerstört. So aber geht es dort, wo man in Angelegen-
beiten des „Chriftentums“ und der „Kirche“ alles auf bestimmte Entfaltungsseiten des
Gesamtlebens dieser Größen, aber nicht auf das Ganze des Gesamtlebens selbst
zuspitzt. Leute, welche einzelne, an sich vielleicht außerordentlich wichtige, Lebensbedin-
gungen oder Lebensfunktionen der Kirche, etwa das Bekenntnis oder andererseits die
Glaubensfreiheit, als Lebensbasis des Ganzen ansehen und in Gegensatz gegen
einander setzen, verlieren die Totalität der Lebenserscheinung aus dem Auge
und bringen alles aus dem Gleichgewicht.
überwiegen der kirchen- Oie in den letzten Jahren immer stärker hervorgetre-
tene kirchenpolitische Aktivität, welche durch die
Auflösung der Erkenntniseinheit in der Kirche hervor-
gerufen ist, gehört zu den ungesundesten Erscheinungen unseres gegenwärtigen kirch-
lichen Lebens. Es ist garnicht zu sagen, welch eine Summe von Kraft dadurch der
dringenden Arbeit und den immer sich mehrenden kirchlichen Aufgaben schon entzogen
worden ist und noch täglich entzogen wird. Denn der Prozeß der kirchenpolitischen
Parteibildung ist noch keineswegs zur NRuhe gekommen.
politischen Tendenz.
Neuerdings haben sich in Bayern die schon
immer vorhandenen Jüchtungen organisiert;
im „deutsch-evangelischen Bolksbunde“ ist eine neue Kampforganisation auf den
Plan getreten, welche dem kirchlichen Liberalismus Kampf auf Leben und Tod an-
gesagt hat. Kurz vorher erst fällt die Gründung und erste Tagung des „Allgemeinen
positiven Verbandes“, und wenige Jahre zurück liegt die der „kirchlich-positiven
Vereinigungen“ — alles neueste Kampfesorganisationen der „Positiven“ zum Schutz
des Bekenntnisses und zum Kampf gegen den Liberalismus.
Positive Kampfesorganisationen.
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