Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
26 Die evangelische Kirche und Cheologie. VIII. Buch. 
geschichte Oeutschlands, Harnacks Oogmengeschichte und viele andere haben durch ihren 
umfassenden Charakter längst eine weit über das theologische Interesse hinausgehende 
Bedeutung gewonnen. Oie Kultur- und Geistesgeschichte der Antike verdankt der alt- 
und neutestamentlichen Forschung die wertvollsten Beiträge. Von Theologen veran- 
staltete Ausgrabungen liefern Ergebnisse von größter kulturgeschichtlichee Bedentung. 
Oer neuerdings stark hervortretende religionsgeschichtliche Gesichtspunkt in der historischen 
Theologie fördert die Geschichtswissenschaft an verschiedenen Punkten. Gewisse Zweige 
der Philologie sind von theologischer Seite außerordentlich befruchtet. Die moderne, 
von Amerika herübergekommene Religionspsychologie liefert sowohl der allgemeinen 
Seelenkunde, wie der Psychiatrie neues Material. Die Mitarbeit der spstematischen 
Theologie an den philosophischen Problemen der Gegenwart ist von nicht zu unter- 
schätzendem Wert, die Missionswissenschaft hat außerordentlich anregend auf die 
linguistische und ethnologische Erforschung der kulturlosen Völker gewirkt. 
So hat die Theologie unter der Einwirkung der stets fortschreitenden Lebens- 
erweiterung auf allen Gebieten auch auf dem obigen in dem letzten Zahrzehnt eine 
ungeheure Gebietserweiterung vollzogen. Während auf der einen Seite die Spezial- 
forschung in oft beängstigender Weise fortschritt, hat sie auf der anderen die universellsten 
Gesichtspunkte gewonnen. Die sondertheologischen Methoden sind auf allen theologischen 
Gebieten, wenn nicht beseitigt, so doch stark zurückgedrängt. Die Theologie arbeitet in erster 
Linie mit allgemeinwissenschaftlichen Prinzipien, die historische nach der historisch- 
kritischen Methode und ihren Gesetzen, die spstematische auf philosophisch-erkenntnis- 
kritischer Basis, die Religionspspchologie mit den Mitteln der Experimentalpsychologie usw. 
Mit anderen Worten: In den letzten ZJahr- 
zehnten hat sich der Saekularisierungs-- 
prozeß in der Theologie ganz außerordent- 
lich beschleunigt. ARicht nur das, er hat bedeutend an Umfang gewonnen und auch die 
noch isolierten Gebiete und die weitesten Richtungen in seinen Machtbereich gezogen. 
Denn darin liegt vielleicht das bedeutsamste Moment dieser neuesten Entwicklung, daß 
allmählich auch die gegenwärtige „positive“, „kirchliche“ Theologie, die Tochter der Neu- 
orthodozie, wenigstens in ihren einflußreichsten und fruchtbarsten Richtungen und Ver- 
tretern, sich immer entschlossener und freier dem universal- wissenschaftlichen Zuge der 
Zeit bingegeben hat, ohne im geringsten die religiösen Werte und Realitäten der 
Altgläubigkeit mit der Theologie der Atgläubigkeit aufzugeben. Eine ganz neue Kom- 
bination ist auf diese Weise im theologischen Leben der Gegenwart entstanden, die Ver- 
bindung: „modern- wissenschaftlich" mit „positiv--kirchlich"“. Die Frage, ob diese Kom- 
bination durchführbar, zukunftskräftig oder innerlich haltlos und nur ein Ubergangs- 
stadium zum Radikalismus ist, gehört zu den allerentscheidendsten Gegenwarts- und 
Zukunftsfragen der evangelischen Kirche. 
Beschleunigung der 
Säkularisierung der Theologie. 
  
  
Auf den ersten Blick mag freilich diese Wand- 
Wirkungen dieses Phänomens. 
lung der Theologie im letzten Menschenalter 
  
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