Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
46 Die evangelische Kirche und Cheologie. VIII. Buch. 
  
bund und den Weltmissionskongressen weitere Kreise Deutschlands erreicht hat und immer 
weiter vordringt. Sodann beginnt in den Kreisen der Kolonialfreunde und Kolonial-- 
verwaltung allmählich das Verständnis für die Kulturarbeit der Mission zu wachsen. 
Dazu kommt, daß die wissenschaftliche Bedeutung der Mission (Linguistik, Bölkerkunde, 
Religionsgeschichte usw.) immer mehr zur Anerkennung kommt. Auf diese Weise ist von zu- 
nächst rein nationalen und kulturellen Gesichtspunkten aus das Interesse für die Mission 
im Wachsen begriffen, wenn auch noch lange nicht so allgemein, wie zu wünschen wäre. 
Die veränderte Lage bleibt nicht ohne Einfluß auf die Mission selbst. Aicht daß 
sie sich in der Verfolgung dieser religiösen Ziele beirren ließe. Wohl aber bringen es die 
Verhältnisse mit sich, daß sie sich der Wechselwirkung, in der ihre Arbeit mit den erwähn- 
ten weltlichen Faktoren steht, deutlicher bewußt wird und stärker Rechnung trägt. Mit 
anderen Worten: die pietistische Praxis und Tendenz früherer Zeiten weicht in der gegen- 
wärtigen Missionsmethode immer mehr einer umfassenderen Arbeitsweise. „Nicht 
Einzelbekehrung, sondern Volkschristianisierung“ ist das letzte Ziel. Damit 
steht die Schularbeit im Vordergrunde und folgeweise die Pflege deutscher Kultur 
und Sitte. Man sieht, auch der Missionsgedanke ist in einer Entwicklung begriffen, welche 
zu seiner Erweiterung führt. 
Gustav-Adolf-Verein Seit dem Jahre 1890, wo die definitive Arbeitstrennung 
zwischen dem Gustav-Adolf-Verein und dem 1886 
gegründeten Evangelischen Bunde erfolgte, haben 
biese beiden mächtigen evangelischen Organisationen schiedlich-friedlich nebeneinander ge- 
arbeitet; jener im Dienste der großen Aufgabe, der Pflege der deutschen evangelischen 
Diaspora, vor allem in Österreich, Ungarn und Siebenbürgen; dieser in Wahrnehmung 
der deutsch-protestantischen Interessen gegenüber dem Altramontanismus. 
Was der Gustav-Adolf-Verein gerade in den letzten Zahrzehnten für die Sammlung 
der zerstreuten Protestanten in katholischen Landen, für die gottesdienstliche Versorgung, 
für die Erhaltung und AReubegründung evangelischer Kirchen, Gemeinden und Ge- 
meindeschulen, für die moralische Stärkung der Diasporageistlichen und endlich insbeson- 
dere für die Versorgung der in der Los-von-Rom-Bewegung Mbergetretenen geleistet 
hat, ist staunenswert. Die Rückwirkungen dieser Arbeit auf das heimatliche kirchliche 
Leben und der Art seines Wirkens auf das evangelische Gemeingefühl sind Impondera- 
bilien bedeutsamster Art. Daneben, getrennt marschierend, vereint schlagend, ist der 
Evangelische Bund ein Hauptträger der ideellen Einheit des Protestantismus geworden, 
indem er in noch stärkerem Maße wie der Gustav-Adolf-Verein nicht nur die konfessio- 
nellen, sondern auch die religiös-kirchlichen Gegensätze des Protestantismus, unbeirrt 
durch den Widerspruch und die Bekämpfung der Parteimänner, zu überwinden strebt. 
In derselben Richtung arbeitet erfreulicherweise die 1910 gegründete „Konferenz 
für evangelische Gemeindearbeit“, deren jährlich veranstaltete „Evrangelischen 
Gemeindetage“ in immer stärkeren Maße den Mittelpunkt der von Sulze in Fluß 
gebrachten Bestrebungen bilden, welche der Erhaltung unserer Kirche durch Belebung der 
Gemeinden und durch engeren Zusammenschluß der Gemeindeglieder dienen wollen. 
  
und Evangel. Bund. 
  
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