Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Die katholische Kirche. 67 
  
Gelöbnis des Glaubens, das der religiöse Herrscher acht Jahre früher in A#achen ab- 
gelegt hatte. 
Dagegen sind die Bemühungen, den Zesuiten wiederum unbeschränkte 
Ansiedelung im Reiche zu gestatten, bisher immer am MWiderstande 
des Bundesrates gescheitert, trotzdem ihre Zulassung bereits mehrmals vom Reichstage 
beschlossen wurde. Die heftige Opposition weiter protestantischer Kreise begreift sich leicht 
aus der Tätigkeit dieses Ordens gegen die Reformation, der Widerwille vieler Katholiken 
gegen ihn vielleicht am ehesten aus seiner Grundverschiedenheit von dem der Benediktiner. 
Kach unserer Uberzeugung fürchten die Protestanten ebenso zuviel von den Zesuiten, 
wie die Katholiken meistens zuviel von ihnen hoffen, beide aus mangelhafter Kenntnis: 
letztere ziehen aus den wenigen ihnen vielleicht als Schriftsteller oder Volksredner be- 
kannten tüchtigen Jesuiten einen Schluß auf den ganzen Orden, während erstere bald 
aus alten Schauermären über jesuitische Ränke und Schliche, bald aus den Lukubrationen 
einiger enfants terribles der Gesellschaft von heute ihr Urteil schöpfen. Ze mehr die einen 
durch verallgemeinerndes Absprechen über den vielumstrittenen Orden sich Blößen geben, 
um so eifriger werden die andern ihn verteidigen und zurückgerufen wissen wollen. 
ODer Kenner der Kirchengeschichte beurteilt die Sache nüchterner und objektiver. Er 
sagt sich, daß die Protestanten heute wenig von den Jesuiten zu fürchten hätten. Wenn 
diese sich geheimer Machinationen schuldig machen sollten, deren ihre Gegner sie bezich- 
tigen, so werden bei der Menge der ihnen auflauernden Feinde in einer Zeit allgemeinster 
Publizität solche Machenschaften um so weniger für die Dauer verborgen bleiben können, 
je näher die Täter dem Beobachter gerückt sind. Vor der offenen Tätigkeit der Zefuiten 
aber sich zu fürchten werden die Protestanten wohl zu stolz sein, übrigens auch weniger 
als je Ursache haben. Der Orden war stark im Zeitalter der Gegenreformation, solange 
noch der Enthusiasmus und die „Rassenreinheit“ der Gründungszeit vorhielt. Und auch 
damals erzielte er seine Erfolge nicht ohne den weltlichen Arm, der namentlich alle stören- 
den Einflüsse von außen fernhielt. Was den Zesuiten ohne diese Hilfe gelungen wäre, 
dafür fehlt das Kriterium des Experiments. Zedenfalls stände ihnen heute eine solche 
Unterstützung öffentlich kaum in einem Staate des Reiches zur Verfügung. Wie wenig 
tief aber die damals von ihnen ausgestreute Saat wurzelte, das zeigte sich z. B. in Oster- 
reich nach dem Toleranzpatent Josephs II., infolge dessen die noch von den JFesuiten ge- 
schulte Generation in Massen zum Protestantismus übertrat. Die jesuitische, mehr 
romanisch gefärbte, viel auf Außerlichkeiten Wert legende Frömmigkeitsform war nicht 
imstande, die Gläubigen festzuhalten, nachdem der äußere Zwang weggefallen war. 
Und haben denn die Fesuiten mit all ihrer von den Regierungen unterstützten Macht 
in Frankreich und anderen Ländern den Jansenismus, nachher den Enzyklopädismus, 
haben sie in Bayern und ÖOsterreich den Illuminatismus und Zosephinismus hintanzu- 
halten oder, nachdem diese Bewegungen ihr Haupt erhoben, sie zu überwinden ver- 
mocht? Der Kampf hat im Gegenteil fast überall mit ihrer Niederlage geendet. Nicht 
glücklicher sind sie im 18. und 19. Jahrhundert in den südlichen Ländern gegenüber 
dem Indifferentismus und Atheismus, in unseren Tagen gegenüber der Los-von-Rom- 
Zesuiten. 
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