Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
74 Die kathollsche Kirche. VIIlI Such. 
  
Nachdem die „gute“ Presse gelegentlich als Hilfsmittel der 
Seelsorge bezeichnet wurde, darf sie von einer Umschau über 
das kirchliche Leben nicht unberücksichtigt gelassen werden. Katholische Tagesblätter 
gab es erst, nachdem durch Miß- und Ubergriffe aufs kirchliche Gebiet seitens der 
Regierungen, namentlich der preußischen, der Konfessionalismus geweckt worden war. 
Ein nie geahntes Wachstum verdankte diese Presse dem Kulturkampf, wobei leider 
die Qualität nicht selten im umgekehrten Verhältnis zur Quantität stand. Die schroffe 
Verletzung des religiösen Empfindens wühlte die konfessionellen Leidenschaften in 
ihren Tiefen auf, und im Namen der Ecclesia militans wurden, dank den Errungen- 
schaften von 1848, bisweilen Waffen geschwungen, denen man nur allzusehr anmerkte, 
daß sie den Arsenalen der Kinder dieser Welt, und nicht der besten, entlehnt 
waren. Wer nicht in diesen Ton einstimmte, wer gar ihn laut zu mißbilligen wagte, 
galt als schlechter Katholik, als Verräter. Diese Presse gemahnte, wie ein mit- 
fühlender Zeuge llagte, an eine kurzsichtige, suffisante JZugend, die über „verflossene“ 
Leute und Standpunkte hochmögend, ohne jede Regung von Gemüt und Dank- 
barkeit, hinwegschreitet, mit der auf Anstand haltende Elemente am liebsten nichts 
zu tun haben. Mit der Beilegung des Kulturkampfes wurde es auch hierin wenigstens 
bei den größeren Organen wesentlich besser. Im Norden des Reiches hat vor allem die 
Kölnische Volkszeitung sich durchweg eines Tones beflissen, der eines für religiöse Inter- 
essen kämpfenden Blattes würdig ist, und auch die Berliner Germania hat wenigstens 
vorwiegend, trotz zeitweiliger Reminiszenzen ihrer frühesten Zeit, allen billigen Anfor- 
derungen entsprochen. Der Süden hat diesen beiden großen katholischen Tagesblättern, 
die auch in ihrer Auffassung zumeist großzügig waren, bis zur Stunde nichts Ebenbürtiges 
an die Seite zu stellen. Selbst in Ländern, wo der Kulturkampf sich so gut als gar nicht 
fühlbar machte, führt auch die sich katholisch nennende Presse noch heute nicht selten 
eine Sprache, die sie nicht als Dienerin und Gehilfin, sondern als Herrin kirchlicher In- 
stitutionen und Personen erscheinen läßt und den von ihr bekämpften und verabscheuten 
Organen in nichts nachgibt, nicht zur Ehre und zum Vorteil der katholischen Sache. 
Aber im ganzen können wir Katholiken immerhin einen Aufschwung unserer Presse 
konstatieren, die sich von jener der siebziger und achtziger Jahre jedenfalls dadurch unter- 
scheidet, daß, mag sie auch gegenüber anderen Fraktionen und religiösen Richtungen 
ein gerüttelt Maß von Mißtrauen und bisweilen Heftigkeit zeigen, das leider in dem 
Verhalten der Presse jener Parteien nur zu oft seine Rechtfertigung oder wenigstens 
Erklärung findet, doch der Reichsregierung im ganzen mit einem Vertrauen entgegen- 
gekommen wird, das man vor den Tagen Wilhelms II. vergeblich wünschte. Mit Be- 
friedigung wurde s. Z. von einem strengen katholischen Beurteiler das Verhalten der 
fraglichen Presse in dem Streite um das Protektorat im Orient (1898) anerkannt, in 
welchem die mit Weisheit und überlegener Ruhe geführte Politik der Reichsregierung 
eine wertvolle Stütze gefunden habe. Es wurde daraus die Hoffnung abgeleitet, „daß 
das aus der Konfliktszeit restierende Maß von Mißtrauen und Verbitterung immer mehr 
aus der parlamentarischen und journalistischen Behandlung der öffentlichen Fragen 
verschwinden und einer sachlichen Erörterung Platz machen werde“. Diese Hoffnung 
Die Tagespresse. 
  
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