Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
4 Die Untversttäten. 1. Buch. 
  
was auf dem Grunde der deutschen Seele klingt, und von den großen Wogen nationaler 
Geschicke. 
Seitdem die gewaltige Tat des Zahres 1870 die widerstrebenden Geister zusammen- 
gerüttelt und lange Getrenntes zur Einheit zusammengefaßt hat, war es der deutschen 
Nation im friedlichen Wettbewerb beschieden, zu zeigen, was ihre Kraft vermag, wenn 
sie sich in inneren Kämpfen nicht verblutet und ein einheitlicher Wille unter dem goldenen 
Reif der Kaiserkrone ihre Geschicke lenkt. Durch Handelsverträge und geeignete Zoll- 
maßnahmen geschützt, haben Fleiß und Tatkraft sie zu einer materiellen Höhe empor- 
geführt, die sie nie zuvor gesehen hat. In der Geschichte der Universitäten spiegelt sich, 
wie Döllinger einst lehrte, der Charakter und die durch ihn bedingte Entwicklung der 
Nationen ab. Sie reflektierten die materiellen wie geistigen Strömungen der Zeit, und 
so haben sie in der allgemeinen Wohlfahrt unseres Landes auch ihre Wohlfahrt gefunden 
und sind dankbar für die erhöhte Fürsorge, die der Staat ihnen auf allen Gebieten zu- 
gewendet hat und jetzt zuwenden konnte. Die ordentlichen Ausgaben für sie sind inner- 
halb von 25 Jahren von 9½ auf mehr als 20 Millionen gestiegen, die außerordentlichen 
von fast 5 auf mehr als 5 Millionen. Im weiten Kranze um die Universitäten gelagert oder 
zu ganzen Stadtdvierteln vereinigt, erheben sich medizinische und naturwissenschaftliche 
Institute und bezeugen den Geist des naturwissenschaftlichen Jahrhunderts, der in diesen 
schirmenden Burgen der Arbeit ihrer Forscher und der Vorbereitung der akademischen 
Zugend zu wissenschaftlichem Denken eine Stätte gewährt. Jeder Jahrgang des Unter- 
richtsetats, jede Seite des Haushalts einer einzelnen Universität gibt Kunde von der 
staatlichen Fürsorge, die in Tausenden von kleinen Kanälen durch das akademische 
Leben rinnt, sachliche und persönliche Dinge umfaßt, ideale und materielle Bestrebungen 
fördert und neuerdings die Leibesübungen der akademischen Zugend durch Sport und 
Spiel ins Auge gefaßt hat; Turnhallen oder Spielplätze werden eingerichtet, Vereinen, 
die in ihre Statuten den Nudersport ausgenommen haben, die äußern Sorgen erleichtert 
und bei akademischen Wettspielen Siegeskränze und Ehrenpreise gewährt. 
Der Etat der Universitäten läßt sich nicht von 
dem Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ trennen, 
das den allgemeinen wissenschaftlichen Anstalten oder Unternehmungen gewidmet 
ist; denn die großen Erfindungen und Entdeckungen der neuen Zeit üben ihren 
größten und unmittelbaren Einfluß auf die akademischen Forscher und ihren Anterricht. 
Was an neuen Gedanken gewonnen oder von den Schätzen der Vergangenheit durch den 
Spaten der Gegenwart wiedergegeben ist, findet durch Mitarbeit und Lehre alsbald 
seinen Weg zur akademischen Zugend. Oie Ergebnisse der Polar- und Tiefsee-Expeditionen 
bringen neue Gedanken in die Hörsäle der Geographen und Zoologen, die glänzenden 
Funde der preußischen Turfanexpedition befruchten die Religionswissenschaft, die Linguistik, 
Orientalistik und Ethnographie, die Fortschritte der Bakteriologie dringen in die klinischen 
Institute und verbreiten als angewandte Wissenschaft ihren Segen bis in die Hütte des 
kleinsten Mannes. Die Einrichtung von Kursen über religiöse Kunftpflege, der Zuschuß 
zu dem Septuaginta-Unternehmen der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, die 
Wissenschaft und Universität. 
  
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