IX. Buch. Die Unitversitäten. 9
lassen, und der in Hoffnung gesäte Same geht nicht in Vaterlandsfreudigkeit auf, sondern
verdorrte bisher in dem tiefen Wüstensande zwischen dem 14. bis 20. Lebensjahre und
erlag der demagogischen Verhetzung.
Die Vorbildung unserer Studierenden hat
aufgehört, ausschließlich humanistisch zu sein.
Es war ein an hoher Stelle richtig erkanntes Gebot der Zeit, Privilegien abzuschaffen,
die anderen Anstalten mit verschiedenem, aber gleich langem und intensivem Bildungs-
gange den Zugang zu der Universität verwehrten. Die Allerhöchste Verordnung hat die
Eleichstellung aller drei Schulgattungen durchgeführt und den einzelnen Formen
die Möglichkeit freier Konkurrenz mit ihrer älteren Schwester, dem humanistischen GSym-
nasium, gewährt. Noch ist kein sicheres Urteil darüber möglich, ob diese Zulassung der
Wissenschaft und der Universität selbst nützen wird, deren Lehrer sich einem sehr ungleich
vorgebildeten Schülerkreise gegenübersehen; am wenigsten werden sich Schwierigkeiten
in Medizin und Naturwissenschaften einstellen, die in gewissem Sinne mit neuem Stoff
beginnen, während andere Oisziplinen wie Geschichte, Sprachwissenschaft und Recht
schon bei Beginn der Studienzeit bestimmte Kenntnisse voraussetzen müssen; es ist klar,
daß überall dort, wo es sich darum handelt, Begriffe und Erscheinungen der Gegenwart
in die Vergangenheit zu verfolgen, der des Latein und Griechischen Unkundige sich
größeren Schwierigkeiten gegenüber befindet und nur der Starke und Befähigte noch
imstande ist, nach der Schulzeit das hierin Fehlende nachzuholen. Der wesentlichste Nutzen
dürfte dem Realgpymnasium und der Oberrealschule selbst erwachsen, die sich von dem
Vorwurf und dem Hemmnis befreit wissen, daß ihr Abiturientenzeugnis nur halbe
Berechtigung gewähre; praktisch aber dürfte es erst im Lauf der Zeit deutlich werden,
zu welchem Studium der Lehrgang der einzelnen Schulen am zweckmäßigsten und gründ-
lichsten vorbereitet hat.
Vorbildung der Studierenden.
Ein weiterer vom Geist der Zeit geforderter Fortschritt war die
Umgestaltung und Ausgestaltung der Mädchenschulen, die längst
im Znteresse der Frauenwelt eine weitere Vertiefung ihrer Aufgaben erheischten. Auch
diese tiefgreifende und fast überall freudig begrüßte Entscheidung hat die Universitäten
stark beeinflußt und ihren Schülern eine große Anzahl eifriger und bildungsfroher
Mädchen zugeführt, die in ihren Hörsälen eine tiefere und freiere Bildung suchen und
finden, als ihnen bisher zuteil geworden ist. Es ist nicht bekannt geworden, daß aus
dieser Zulassung ernste Ubelstände entstanden sind. Zwar ist nicht zu verkennen, daß
die tiefe innere Verschiedenheit beider Geschlechter sich auch in der akademischen Luft nicht
verleugnen wird, daß die andere Art, die Dinge aufzufassen und wissenschaftlich zu be-
handeln, Vorlesung und Ubungen einen anderen Charakter aufprägen muß, der den
Unterricht leicht auf einen anderen Ton stimmt und nicht allen Dozenten erwünscht
ist; solange aber nicht Frauen-Universitäten errichtet sind, gibt es keine andere Mög-
lichkeit, um die in der Frau schlummernden Bildungskräfte zur Blüte und zur Reife
zu bringen, als den Zutritt der Frauen zu der Stätte strenger wissenschaftlicher Schulung,
Frauenstudium.
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