Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VII. Buch. Eisenbahnen, Straßen- und Luftverkehr, Post und Telegraph. 15 
  
Ermäßigungen wurde in den einzelnen Bundesstaaten eingeführt, der wichtigste Schritt 
war jedoch die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Rückfahrkarten, zunächst in Süd- 
deutschland auf 10 Tage, dann 1901 auf den preußischen und bald darauf bei allen deut- 
schen Staatsbahnen auf 45 Tage. So kam es, daß in Deutschland nur mehr der vierte 
Teil des gesamten Reiseverkehrs sich nach dem ordentlichen Tarif abwickelte. 
2. Reform 1907. Dieser Umstand und die bunte Musterkarte von Tarifsätzen und 
Fahrpreisermäßigungen, die in den deutschen Landen nunmehr 
Geltung besaßen, führte gegen Ende 1904 zur Wiederaufnahme gemeinsamer Verhand- 
lungen unter den deutschen Regierungen über die Reform der Personentarife. 
Das Ergebnis dieser Verhandlungen war die Einführung eines neuen einheitlichen 
Personen- und Gepäcktarifs auf allen deutschen Staatseisenbahnen am 1. Mai 1907. 
Die Rückfahrkarten wurden beseitigt, die Wohltat des 2 Pfennig-Satzes, der in Nord- 
deutschland für die IV. Klasse seit vielen JLahren bestand, wurde auch dem deutschen Süden 
zuteil. Freilich das Vierklassenspstem wurde von Bapern und Baden nicht übernommen. 
Dagegen wurde in diesen Ländern der 2 Pfennig-Satz allgemein für die III. Klasse 
Personenzug (sogenannte IIIb Klasse) gewährt. Ein einheitliches Tarifschema für alle 
Klassen (7—4,5—3—2 Pfennig für das km) wurde eingeführt. ODie kilometrischen Schnell- 
zugszuschläge, die bisher von den einzelnen Verwaltungen in verschiedener Höhe erhoben 
wurden und in einzelnen Fällen bis zu 41% des eigentlichen Fahrpreises betrugen, 
wurden gleichfalls beseitigt und durch einen nach Zonen abgestuften Schnellzugszuschlag 
im Höchstbetrag von 2 Mark für die I. und II. und 1 Mark für III. Klasse ersetzt. Auf 
den norddeutschen Bahnen war bisher Freigepäck im Gewichte von 25 kg gewährt; auch 
dieses wurde aufgehoben und dafür ein stark ermäßigter, nach Sonen und größeren Ge- 
wichtseinheiten abgestufter Gepäcktarif eingeführt, der zum Teil sogar die Eilgutsätze 
unterbietet. 
Auf zusammenstellbare Fahrscheinhefte wird eine Ermäßigung nicht mehr gewährt. 
Neben dem ordentlichen Tarif wurden nur noch wenige bestimmte Fahrpreisermäßi- 
gungen beibehalten. 
Als die Verhandlungen unter den Bundesregierungen über die Reform bereits in 
allen wesentlichen Teilen abgeschlossen waren, wurde durch das Reichsgesetz vom 3. Juni 
1906 die Fahrkartensteuer eingeführt, die noch vor der Tarifreform ins Leben trat. 
Sie läßt die 2 Pfennig-Klasse frei und belastet die III., II. und I. Klasse in Sätzen, die im 
Verhältnis von 1: 2:4 abgestuft sind. Die Fahrkartensteuer nahm dem Reform- 
tarif seine Einfachheit. Die ungleichmäßigen Steuerzuschläge und die starke Mehrbe- 
lastung der höheren Wagenklassen bewirkten eine beträchtliche Verschiebung der Wir- 
kungen der Tarifreform, eine erhebliche Abwanderung aus den höheren Klassen in die 
unteren. 
Die öffentliche Meinung nahm die Reform wenig günstig auf. Man sah nur ihre 
Schattenseiten und doch brachte sie einen großen Fortschritt für den Reiseverkehr, ins- 
besondere in Süddeutschland durch die starke Verbilligung der Fahrpreise für die minder- 
bemittelten Klassen. 
  
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