Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
16 Die technischen Hochschulen. IX. Buch. 
  
teilung der technischen Hochschule gezwungen, ihre Einrichtungen denen der Universität 
anzupassen, um diesen Ubergang zu erleichtern. Wenn auch dieses Mißverhältnis durch 
persönliches Entgegenkommen wohl erleichtert wurde, gründliche Abhilfe scheiterte am 
überlieferter Gewohnheit. Daß der leidige Zustand nicht mit kleinen Mitteln hingefristet 
wurde, wie es in solchen Fällen gern geschieht, daß hier ein großer Schritt die 
Schranken brach, das ist dem kaiserlichen Willen zu danken. 
Aachdem lange, im Stillen gepflogene Verhandlungen zwischen den deutschen 
Hochschulen die Sicherheit geliefert hatten, daß die Einzelstaaten in einheitlicher Weise 
die Angelegenheit zu ordnen gewillt seien, erfolgte bei einem bedeutungsvollen Anlaß 
die Kundgebung der kaiserlichen Entschließung. Beim Jahrhundertfeste der Ber- 
liner technischen Hochschule 1899 wurde den preußischen technischen Hochschulen mit 
dem Rechte, durch akademische Prüfungen den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu ver- 
leihen, auch das Promotionsrecht gewährt. Die anderen deutschen Staaten folgten mit 
im Wesentlichen übereinstimmenden Entschließungen ihrer Monarchen und Regierungen. 
Eine stärkere Abweichung besteht nur, insofern Bayern den Titel Doktor der technischen 
Wissenschaften verleiht, der aber durch den Titel Doktor-Ingenieur ersetzbar ist. Auch der 
sonderbar anmutenden Vorschrift Preußens, daß die technischen akademischen Titel in deut- 
scher Schrift geschrieben werden sollen, haben sich die Bundesstaaten nicht einheitlich ange- 
schlossen. Einheitlich ist vor allem die wichtige Bestimmung, daß der technische Doktor nur nach 
Erwerbung des Titels Diplom-Ingenieur erreicht werden kann. Nicht wieder Doktor der 
Universitäten verbürgt der der technischen Hochschulen nur akademische Bildung im allge- 
meinen bei freier Wahl der Einzelstudien, sondern auch das abgeschlossene Studium eines 
technischen Faches: Wer Doktor-Ingenieur ist, muß zunächst ein ganzer Techniker sein. 
Die Bedeutung dieser Titelverleihung liegt nun sicherlich nicht allein in der Be- 
seitigung der oben betonten Unzuträglichkeiten auf dem Gebiete des Studiums der 
Chemie, sondern in erster Linie in der nachdrücklichen Bekundung der Stellung, 
die der Technik im deutschen Geistesleben gebührt. Darin liegt eben das Große 
dieses Schrittes, daß er mit der Beseitigung gegenwärtiger Mängel der zukünftigen 
Entwicklung neue Bahnen eröffnet. 
Wie dringlich aber die Beseitigung dieser Mängel war, zeigt schon jetzt der Erfolg. 
Bis zum Ende des Sommersemesters 1912 hatten an den sämtlichen Hochschulen 1624 
Promotionen (abgesehen von den Ehrenpromotionen) stattgefunden, die meisten in 
München, Dresden und Berlin. Etwa die Hälfte dieser Promotionen (864) entfällt auf 
die chemischen Abteilungen. · 
Die Diplom-Ingenieur-Prüfung hat sich in so ausgedehntem Maße eingelebt, daß 
bereits ein weitverzweigter Verein deutscher Diplom-Ingenieure deren Interessen einer- 
seits gegenüber den nicht akademisch gebildeten Technikern vertritt, andererseits gegenüber 
den Staatsbeamten, die nach der Diplomprüfung die Staatshauptprüfung abgelegt haben. 
Während dieser äußeren Erfolge der Ent- 
wicklung der technischen Hochschulen hat es 
ihnen an inneren Spannungen und Auseinandersetzungen nicht gefehlt. Mathematik 
Innere Auseinandersetzungen. 
  
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