28 Handelshochschulen. IX. Buch.
achtens wird dieser letztere Standpunkt sich auf allen Handelshochschulen Anerkennung
verschaffen, wenn die Stellung dieser neuen Wissenschaft eine umfassendere sein wird als
bisher und wenn es ihr gelungen sein wird, zahlreichere Vertreter zu finden, die den Ver-
tretern der alten Disziplinen, Volkswirtschaft und Rechtslehre, in jeder Weise gleichstehen.
Lehrbetrieb. Was nun den Lehrbetrieb im einzelnen anlangt, so stimmen
die deutschen Handelshochschulen in bezug auf Zweck der Vorlesungen
im allgemeinen überein. Die Vorlesungen in der Volkswirtschaft bezwecken, das Ver-
ständnis zu wecken für das moderne Wirtschaftsleben, seine Organisation und seine
Grundprobleme. Die Kaufleute sollen darüber nachdenken lernen, welche Stellung
ihnen neben den anderen Berufsständen zufällt. Der Studierende soll so weit vorberei-
tet werden, daß er auch nach seinem Abgange von der Handelshochschule in die Lage
versetzt wird, den wirtschaftlichen Kern der ihm entgegentretenden Fragen zu erfassen,
die wirtschaftlichen Erscheinungen in ihrem Zusammenwirken als Ganzes zu erkennen.
Die volkswirtschaftlichen Vorlesungen zerfallen üblicherweise in zwei Hauptvor-
lesungen, die sogenannte theoretische oder allgemeine Nationalökonomie und die prak-
tische oder spezielle Nationalökonomie. Aus der praktischen Nationalökonomie ergeben
sich eine Reihe wichtiger Kapitel, die für den praktischen Beruf des Kaufmanns besonders
geeignet sind, als Organisation des Weltverkehrs und Welthandels, Geld-, Bank- und
Börsenwesen, Handels- und Gewerbepolitik, Sozialpolitik, Kolonialpolitik. Dagegen
wird es nicht notwendig sein, Agrargeschichte und Agrarpolitik in dem an der Universität
üblichen Umfange zu behandeln.
Was die Rechtslehre betrifft, so kann es sich nicht darum handeln, geschulte Juristen
heranzubilden, vielmehr nur darum, eine Einführung in die Methode des juristischen
Denkens zu geben und diejenigen Gebiete ausführlich zu behandeln, welche durch die
praktischen Ziele des kaufmännischen Berufs bedingt sind. Die jungen Kaufleute sollen
nicht in den Stand gesetzt werden, ihre Rechtsangelegenheiten selbst zu führen; worauf
es ankommt, ist die juristische Schulung des Geistes, welche den Kaufmann befähigt,
mit größerem Erfolge als bisher sich des Rates der sachverständigen Juristen zu bedienen.
Wie auf der Universität zerfällt der juristische Unterricht üblicherweise in zwei Haupt-
gebiete: Privatrecht und öffentliches Recht. In bezug auf die Lehre des Privatrechts
lassen sich zwei Strömungen verfolgen; die eine Strömung, welche das Handelerecht
als Standesrecht besonders eingehend behandelt und eine andere Strömung, welche
möglichst das Bürgerliche Gesetzbuch in den Vordergrund treten läßt und das Handels-
recht nur insoweit heranzieht, als es nicht beim bürgerlichen Recht behandelt wird. Nach
meiner Auffassung birgt das Handelsrecht, trotzdem es in vielen Punkten im Bürger-
lichen Gesetzbuch Aufnahme gefunden hat, so viele lebendige der Ausgestaltung fähige
Faktoren in sich, daß ich es nicht für richtig halte, das Handelsrecht zugunsten des Bürger-
lichen Gesetzbuches verkümmern zu lassen. Ze mehr diese letztere Tendenz fast durchweg
auf den Universitäten verfolgt wird, um so dringender ist die Aufgabe der Handelshoch-
schulen, handelsrechtliche Vorlesungen im größten Stile zu veranstalten, insbesondere
der Rechtsvergleichung mit dem Endziel der Rechtsvereinheitlichung den weitesten Um-
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