Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
IX. Buch. Das höhere Schulwesen. 39 
  
stellte, so daß in Karlsruhe im Herbst 1893 ein sechsklassiges Mädchengpymnasium ge- 
gründet werden konnte. Zur selben Zeit wurden in Leipzig Gymnasialkurse für Frauen 
eröffnet und die Berliner Kurse nach dem gymnasialen Lehrplan umgestaltet. Ostern 
1896 bestanden sechs Schülerinnen dieser Kurse die Reifeprüfung an einem Berliner Gym- 
nasium, zu der sie mit besonderer Genehmigung des Ministers in derselben Weise wie 
männliche Extraneer zugelassen worden waren. 
Preußische Neuordnung 1894. Das langsame, doch schließlich nicht versagte Ent- 
gegenkommen, mit dem die preußische Regie- 
rung das Aliturientenexamen als ein an sich mögliches Ziel weiblicher Ausbildung 
anerkannt hatte, blieb zunächst noch ohne Einfluß auf die allgemeinen Verhältnisse. 
Im Ma 18964 erging endlich die langersehnte, vielbesprochene Neuordnung des höheren 
Mädchenschulwesens. Aber der Lehrplan, den sie brachte, tat keinen Schritt vor- 
wärts auf jenes Ziel hin; ja, er schien sogar von der Ausführung des Planes zurück- 
zuweichen, den zwei Zahrzehnte vorher die Weimarer Versammlung aufgestellt hatte. 
Denm#statt des zehnjährigen Kursus, der gefordert war und sich an vielen Orten, zumal im 
Westen der Monarchie, schon eingebürgert hatte, setzte der Minister wieder einen neun- 
jährigen fest, gestattete mur da, wo man an zehn Zahre gewöhnt war, daß es dabei sein 
Bewenden behalte; im übrigen empfahl er, wahlfreie Lehrkurse, zur Fortbildung der 
Mädchen nach ihrem Abgang, den Schulen anzugliedern. Immerhin war dem Verlangen 
der beteiligten Kreise nach bestimmteren, einheitlichen Vorschriften jetzt nachgegeben. 
Und einen Keim zu weiterer Entwickelung enthielt die neue Ordnung doch: stärkere Be- 
teiligung der Lehrerinnen an dem Unterrichte der oberen Klassen wurde als erwünscht 
bezeichnet, und um dafür tüchtige Kräfte zu gewinnen, eine besondere „wissenschaftliche 
Prüfung“ eingeführt. 
  
Diese Prüfung war in zwei Gegenständen 
abzulegen und hatte den Zweck, die Be- 
fähigung für eine Anstellung als „Oberlehrerin“ und für die Leitung einer vollentwickelten 
höheren Mädchenschule festzustellen; in den revidierten Bestimmungen von 1900 kam 
dazu noch eine allgemeine Prüfung in Philosophie. Bewerben durften sich nur solche 
Lehrerinnen, die mindestens fünf Jahre im praktischen Beruf gestanden hatten. Um 
ihnen Gelegenheit zum Studium zu geben, diente in Berlin das — seit 1868 bestehende — 
Biktoria-Lyzeum; in Göttingen, Königsberg, Bonn, Münster und Breslau richtete man 
im Laufe der Jahre Fortbildungskurse ein, Borträge und Ubungen, die teils von Schul- 
männern, teils von Universitätslehrern abgehalten wurden. Einsichtige städtische Patro- 
nate gingen gern darauf ein, bewährte und begabte Lehrerinnen zum Zweck dieser 
höheren Ausbildung zu beurlauben. Mit Eifer wurde gearbeitet und den in der Prüfung 
gestellten Anforderungen meist in recht erfreulicher, oft in glänzender Weise entsprochen. 
Durch die so ausgebildeten „Oberlehrerinnen“ wurde eine Vertretung wissenschaftlicher 
Fächer durch Frauen als ein eigenartiges Element des Unterrichts an höheren Mädchen- 
schulen mehr und mehr begründet. 
Die „Oberlehrerinnen“-Prüfung. 
  
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