46 Das höhere Schulwesen. IX. Buch.
Zwischen Oberlyzeum und Studienanstalt hat die
Frauenschule einen schweren Stand; sie will nicht
recht aufkommen. Auch da, wo die Einrichtung beschlossen worden war, hat sie sich
nicht immer verwirklichen lassen, es fehlte an Schülerinnen. Und diese blieben aus
doch wohl deshalb, weil auf diesem Wege nichts von „Berechtigungen“ zu erlangen
war. Sucht man dem abzuhelfen und, womit Anfänge gemacht sind, die Ausbildung
von technischen Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Haushaltungslehrerinnen auf diesen
Weg zu leiten, so wird auch die Frauenschule zur Berufsschule — und das war doch
eigentlich nicht ihr Sinn. Ein ähnlicher Wandel scheint sich für die höhere Mädchen-
schule selbst, das Lyzeum, vorzubereiten. Männer und Frauen, die im übrigen der Neu-
ordnung von 1908 freudig zustimmten, vermißten doch nach dem zehnjährigen Lehrgang
einen formellen Abschluß. Im Königreich Sachsen hat man die höhere Mädchenschule
einer bis zum Einzährigenrecht führenden Realschule gleichgestellt, mit Abgangsprüfung
und entsprechenden Berechtigungen: im Grunde ganz folgerichtig. Die gleiche Maß-
regel wird sich schließlich auch in Preußen kaum vermeiden lassen.
Frauenschule und Lyzeum.
Das vollzog sich alles zur selben Zeit, wo an den Knaben-
schulen die künstliche Abstufung der Berechtigungen mehr
und mehr als peinlicher Druck empfunden wurde. Die Anpassung der weiblichen
Geistesbildung an die Aufgaben eines höheren Berufslebens, die Eingliederung der
Mädchenschulen in das Gefüge staatlicher Ordnungen war ein großer Gedanke; seine
Verwirklichung bedeutete ein Freimachen aus überlieferten Anschauungen. Zetzt, da
es erreicht ist, muß man auch diejenigen Folgen hinnehmen, die vielleicht niemand
gewünscht hat. A2llgemein menschliches Interesse ist doch an sich etwas Gutes; nun
droht die Gefahr, daß dieses Gut auch den Frauen, seinen berufenen Hüterinnen, ver-
loren gehe durch allzu frühes Hinblicken auf Broterwerb und gelehrtes Studium. Oie
weiter gesteckten Ziele, von den einen freudig begrüßt, werden andern zum Zwang.
Biele Schulen in lleineren Städten und überall die Privatschulen sind in üble Lage
gebracht. Konnten sie den neuen Ansprüchen in bezug auf Lehrräume und Lehr-
kräfte nicht genügen, so wurden sie zur Minderwertigkeit gestempelt; zwangen sie sich
aber, die Mittel aufzubringen, so war damit in vielen Fällen eine unerträgliche Last
übernommen. Die erste Wirkung wurde dadurch gemildert, daß bei der Neubenennung
von 1912 der Name „höhere Mädchenschule“ für die nicht voll ausgestalteten Anstalten
wieder frei wurde; manche wird sich nun eher entschließen, auf die Anerkennung als
„Lyzeum" zu verzichten, und kann weiter in bescheidenem Rahmen Segen stiften. Dagegen
werden die hohen Kosten, die mit der Unterhaltung einer höheren Mädchenschule neuen
Stils — eines Lyzeums — verbunden sind, nicht mehr zurückgehen, ohne Zuschüsse aus
öffentlichen Mitteln wird sie nirgends bestehen können; gar als Erwerbsunternehmen ist
sie in Zukunft nicht mehr denkbar. Dies bedeutet, daß die Privatschulen allmählich ver-
schwinden müssen; und daraus ergibt sich eine weitere Folge. Auch wo es, wie in Preußen,
gestattet ist, Frauen zu Direktorinnen staatlicher und städtischer Anstalten zu berufen,
wird das tatsächlich nicht allzuoft geschehen; so wird ihr Anteil an der Leitung geringer
Ungewollte Folgen.
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