Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
52 Volksschulen. IX. Buch. 
  
Auch im Volksschulwesen. Dabei ist es nicht etwa so, daß die Jahre 1888 
bis 1913 eine besondere Epoche in der Geschichte 
des Volksschulwesens in Deutschland bilden, oder ein bestimmter Abschluß in der 
Gegenwart erreicht ist. Wir sind dieser Zeit auch zu nahe, um darüber schon jetzt ein 
Urteil abgeben zu können. Aber seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms ll. ist die 
Förderung des Volksschulwesens in Preußen und auch in den anderen deutschen Staaten 
ganz deutlich unter den Gesichtspunkt der Förderung des Wohles der Hilfsbedürftigen 
getreten. Eingeleitet wird diese Entwicklung in Preußen durch die Volksschulerleich- 
terungsgesetze von 1888 und 1889, welche durch Aufhebung des Schulgeldes die 
Familienväter von der persönlichen Steuer zum Zwecke der Erfüllung der Schul- 
pflicht befreiten und die bedürftigen Gemeinden auf Kosten des Staates von Schul- 
abgaben entlasteten. In Anknüpfung an das Pensionsgesetz für die Volksschullehrer von 
1885 ist die Entwicklung fortgesetzt worden durch Maßregeln der Fürsorge für deren 
Hinterbliebene (1899), ähnlich wie in der Reichsversicherungsordnung, und für die Volks- 
schullehrerschaft selbst, der durch zwei große Besoldungsgesetze (1897 und 1909) in gerechter 
Würdigung ihrer bisher unzulänglichen Bezüge eine Verbesserung ihrer Lage zuteil 
geworden ist, wie keinem anderen Beamtenstande in der ganzen Regierungszeit Wil- 
helms II. Und diese Fürsorge ist nicht auf den Umfang des preußischen Staates beschränkt 
geblieben. Das Volksschulwesen gehört zwar nicht zur Zuständigkeit des Reiches. Aber 
der Einfluß des preußischen Staates geht doch soweit, daß gewisse Maßregeln, die er trifft, 
namentlich von sozialer Art, ein nachziehendes Beispiel geben. So sind in allen deutschen 
Staaten nach dem Muster der preußischen Besoldungsgesetze die wesentlichsten Gehalts- 
aufbesserungen für die Volksschullehrer erfolgt. Wirksam wird der preußische Einfluß 
auf das Volksschulwesen im Reiche auch dadurch, daß hinsichtlich der Berechtigungen der 
Lehrpersonen, namentlich der weiblichen, ein Ausgleich innerhalb des deutschen Reiches 
nach dem Muster des Großstaates unvermeidlich ist, weil der Großstaat sonst die den 
lleineren Staaten unentbehrliche Gleichberechtigung versagt. Nur die größeren deutschen 
Staaten Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, auch Hessen, könnmen sich diesem 
Vorgehen entziehen, und sie haben es auf dem inneren Gebiet auch getan, weil sie ein 
gefestigtes, ganz andersartiges Volksschulwesen besitzen. Der Entwicklung des Volks- 
schulwesens in diesen Staaten wird daher besondere Beachtung zu schenken sein, 
zumal nicht verkannt werden kann, daß der preußische Staat keineswegs überall die 
führende Rolle übernommen hat, vielmehr einige kleinere deutsche Staaten für Reform- 
ideen erst die Bahn gebrochen haben. Bei der Verschiedenheit der Berhältnisse in den 
einzelnen, geschichtlich früher getrennten Landesteilen ist es für Preußen nicht so leicht, 
mit Gesetzen bahnbrechend voranzugehen, wie für kleinere Staaten in sich gleichartiger 
Beschaffenheit. Dazu kommt die finanzielle Tragweite jeder Maßregel, die für ganz 
Preußen getroffen werden soll. Um so anerkennenswerter ist es, daß in Preußen trotz 
aller entgegenstehender Schwierigkeiten in den letzten 25 Jahren eine Reihe großer Volks- 
schulgesetze verabschiedet worden ist. Sie legen Zeugnis davon ab, wie unablässig das 
Bestreben vorgewaltet hat, gerade die Schulen der unteren Bevölkerungsschichten zu 
heben. Ja, dieses Bestreben ist erfolgt auf Kosten des Mittelstandes, der zurücktreten 
  
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