Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
54 Voltsschulen. IX. Buch. 
  
obwohl sie darin nichts lernen können, in ähnlicher Weise geregelt wird. Die schwach- 
begabten Kinder erfahren in der Volksschule seit etwa zwei Jahrzehnten besondere Rück- 
sicht. Zwar ist dies geschehen, seitdem Pestalozzis Zdeen dank der Förderung, die ihnen 
vom preußischen Throne aus zuteil geworden ist, in die preußischen Volksschulen ein- 
gezogen sind. Reuerdings aber wird darauf gehalten, daß die schwächeren Kinder nicht 
zu lange auf den unteren Stufen verharren, sondern in die höheren aufsteigen, in denen 
sie doch wenigstens einiges von dem erlernen können, das zu wissen und zu können im 
Leben unentbehrlich ist. In den größeren Städten werden besondere Abschlußklassen 
für schwachbegabte Kinder gebildet, in denen zwar die Ziele der Volksschule nicht erreicht 
werden, aber doch ein gewisser Abschluß der Bildung für das praktische Leben vermittelt 
wird. Die ganz schwachen Kinder werden in Hilfsschulen vereinigt; bei ihrer Aufnahme 
muß ein Arzt mitwirken. Und diese Hilfsschulen sind bevorzugt, indem die trefflichsten 
Lehrer für sie ausgesucht werden, denen sogar eine besondere Amtszulage gewährt wer- 
den kann. 
Der Geist, der die Zugenderziehung in der Zeit Kaiser 
Wilhelms ll. beherrscht, spricht sich darin aus, daß die frühere 
Zwangserziehung durch die Fürsorgeerziehung (1900) ersetzt ist. Sie wendet sich nicht 
mehr allein den Minderjährigen zu, welche eine strafbare Handlung begangen haben, 
sondern auch denen, welche durch schuldhaftes Verhalten der Eltern und selbst auch 
ohne solches Verschulden der Gefahr der Berwahrlosung unterliegen. Sie erfolgt auf 
öffentliche Kosten und unter öffentlicher Aufsicht, wobei häufigere Revisionen vorgesehen 
sind, als bei den normalen Schuleinrichtungen. Um die Kinder vor Ausbeutung zu 
schützen, ist das Kinderschutzgesetz (1903) erlassen, das die fremden Kinder besser stellt 
als die eigenen und so der Familie noch einen kleinen Einfluß auf die Beschäftigung der 
Kinder läßt. Schon vorher waren unter der Regierungszeit Wilhelms II. die Fabrikschulen 
beseitigt worden, in denen die in einer Fabrik beschäftigten Kinder zu oft ungünstigen 
Tageszeiten und in kürzerer, als der normalen Wochenstundenzahl unterrichtet wurden. 
Vom 1. Januar 1904 ab dürfen Kinder unter 13 Jahren in einer Anzahl schwer arbeiten- 
der, gefährlicher oder sonst ungeeigneter Betriebe überhaupt nicht mehr beschäftigt 
werden; im übrigen wurde ihre Beschäftigung nach Umfang und Inhalt geregelt. Auch 
auf die Heimarbeit erstrecken sich die Schutzbestimmungen und sichern den Kindern die 
Erlangung der allgemeinen Volksschulbildung. 
Fürsorgeerziehung. 
  
Schulzucht. Die Schulzucht ist milder geworden; wenn auch die körperlichen 
— Strafen in der Volksschule nicht völlig entbehrt werden können, so hat 
sich doch die Erkenntnis mehr und mehr Bahn gebrochen, daß sie nur gegenüber Bös- 
willigkeit und Roheit zur Anwendung zu kommen haben. Um den Lehrer vor Vor- 
eiligkeit zu warnen und um nachträglich eine Kontrolle zu ermöglichen, ist die Vorschrift 
getroffen, daß alle körperlichen Züchtigungen in ein besonderes Verzeichnis einzutragen 
sind (1900). Die gesetzliche Einrichtung von Zugendgerichten ist im Werke; aber schon 
vorher hat die preußische Justizuerwaltung im Rahmen der geltenden Gesetze Maß- 
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